Josef Quack

Über „es“ und „‘s“
Nachtrag zur vermurksten Rechtschreibereform





Hier möchte ich auf die unerkannten und unbedachten Folgen einer schulbehördlichen Verordnung hinweisen, die sich daraus ergeben, daß der Verzicht auf einen Apostroph in einem Wort nach der unseligen Rechtschreibereform nun erlaubt wird. Gemeint ist der Fall, daß man statt: „er hat‘s“, auch schreiben darf: „er hats“.

Der Apostroph ist ein schriftliches Zeichen. Zeichen gehören, allgemein gesprochen, zu jenen wahrnehmbaren Gebilden, deren Wesen darin besteht, daß sie für etwas anderes stehen: id quod stat pro aliquo. Sie haben stellvertretenden Charakter (Karl Bühler, Sprachtheorie 1982, 40f.). In der Schriftsprache steht der Apostroph an Stelle von Buchstaben oder, wie es in Theodor Icklers Rechtschreib-Wörterbuch, dem besten Handbuch seiner Art, einfach und klar heißt: Der Apostroph „deutet die Auslassung von Wortteilen an“, z.B. „g‘nug“, „Wenn‘s weiter nichts ist“. Zweitens: „Der Apostroph steht als grammatisches Zeichen zur Kennzeichnung des Genitivs von Eigennamen, die auf s, ss, ß, tz, z oder x enden“. z.B. Kraus‘ Werk.

Nach dieser Auffassung, die die Regel der traditionellen Rechtschreibung wiedergibt, die vor der vermurksten „neuen“ Rechtschreibung allgemein gültig war, schreibt man „Wie geht‘s dir?“ mit Apostroph, um anzudeuten, daß das „‘s“ für „es“ steht. Wenn „‘s“ nach einem Wort steht, wird es enklitisch geschrieben, d.h. ohne den üblichen Wortzwischenraum, angelehnt an das vorangehende Wort: „Wird‘s bald?“

So lautet die Regel noch im Rechtschreibungs-Duden von 1980. Im Duden, Die deutsche Rechtschreibung (2009), kann statt dessen auch „Wie gehts?“ geschrieben werden. Zum Thema wird dann allgemein angegeben: „In vielen Fällen können die Schreibenden selbst entscheiden, ob sie einen Apostroph setzen wollen oder nicht.“ Auch Wahrig, Die deutsche Rechtschreibung (2005) verzeichnet neben der traditionellen Schreibung mit Apostroph die Zusammenschreibung ohne Apostroph: „das gibt‘s“ und „das gibts“.

Diese Regelung wird in Dudens Richtiges und gutes Deutsch (2007) genauer erläutert: „Man kann einen Apostroph setzen, wenn das Pronomen ‚es‘ mit dem vorangehenden Wort (Verb, Pronomen, Konjunktion) zusammengezogen wird. Da diese Verbindungen im Allgemeinen [!] nicht schwer lesbar sind, ist dies jedoch nicht notwendig.“ (S.89)

Diese Regel bedeutet aber nichts anderes, als daß die primäre Funktion, die Stellvertreterfunktion des Apostrophs mißachtet und er nur noch als Hilfsmittel der Lesbarkeit aufgefaßt wird. Dies ist in der Tat auch seine Funktion beim Genitiv von Personennamen auf einen s-Laut. Es ist aber eine durchaus zweitrangige Funktion.

Schreibungen wie „wenns“, „gehts“, „hats“, „hols der Teufel“ u.ä. unterschlagen das graphische Zeichen, das für einen ausgelassenen Wortteil steht. Diese Wörter, „gibs“, „habs“, sind Zusammenschreibung eines Verbs mit „es“, ihre Form gleicht aber einer Konjugationsform. Zu erkennen, daß dem nicht so ist, daß vielmehr zwei Wörter vorliegen, verlangt von den ABC-Schützen aber eine große Denkanstrengung ab. Das heißt aber, daß die neue Regelung einer vereinfachten Schreibung in Tat und Wahrheit das Erlernen des Deutschen, das an sich schon schwer genug ist, zusätzlich erschwert. Es wird amtlicherseits verkannt, daß der Apostroph ein grammatisches Zeichen ist, das wie alle Zeichen eine Bedeutung hat. Die vereinfachte Schreibung ist nichts anderes als die Unterdrückung einer sprachlichen Bedeutung. Es wird dem Leser die Information vorenthalten, daß hier zwei Wörter vorliegen und daß das "s" nicht die Endung eines Nomens ist, sondern ein eigenständiges, freilich verkürztes Wort.

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So weit das orthographische Thema anläßlich neuerer Sprachverordnungen. Es gibt aber doch zu denken, daß es sich hier besonders um grammatische Probleme eines der einfachsten Wörter des Deutschen handelt: „es“. „Es“ ist aber auch zugleich eines der rätselhaftesten Wörter des Deutschen mit der vielfältigsten Funktion.

Ich will hier zunächst nur auf den Gebrauch des vorangestellten „es“ bei unpersönlichen Verben, in Sätzen „es regnet“, „es wird Zeit“ u.ä hinweisen, weil damit recht subtile Fragen verbunden sind. So kann man fragen, ob man das „es“ hier als Subjekt bezeichnen kann. In Dudens Die Grammatik (1984) heißt es: „Damit gerät man unversehens in eins der umstrittensten Kapitel der Sprachwissenschaft.“ Denn während manche Forscher das „es“ für ein „reines Formwort oder Scheinsubjekt“ halten, „erblicken andere in ihm den sprachlichen Ausdruck für das Wirken unpersönlicher, irrationaler oder mythischer Kräfte“. Aber selbst wenn man mythologische Deutungen ablehne, könne man doch einräumen, „daß mit dem „es“ eine nicht näher zu bestimmende Ursache des Geschehens angezeigt wird“ (S.555).

Harald Weinrich kommt auf jene Kontroverse nicht zu sprechen, sondern beschränkt sich in seiner Textgrammatik der deutschen Sprache (1993) darauf, den Gebrauch und die Funktion des „es“ zu beschreiben und zu klassifizieren. Er nennt die thematischen Kontexte oder Horizonte, in denen das „es“ + Verb gebraucht wird, und zählt den Natur-Horizont auf: „es donnert“, den Zeit-Horizont: „es ist Mittag“, dann auch Beispiele aus dem leib-seelischen Horizont, dem Sinnes-Horizont, dem Gesellschafts-Horizont.

Er diskutiert die Fälle des vorangestellten „es“, wo es als Platzhalter für ein folgendes Subjekt dient, aber selbst kein Subjekt ist: „es war einmal ein König“. Schließlich kommt er auf die feste Wendung oder das Syntagma „es gibt“ zu sprechen. Es ist ein „Aufmerksamkeitssignal“, da es die Bedeutung des nachfolgenden Nomens hervorhebt oder das Nomen „auffällig präsentiert“. Z.B. „es gibt in jeder Stadt einen Marktplatz“ (S.398).

Die Duden-Grammatik ist in diesem Punkt ein wenig präziser und bestimmter, indem sie betont, daß man mit der Wendung „es gibt“ + Akkusativ Existenz-Aussagen machen kann, die besagen, „daß das genannte Wesen oder Ding vorhanden ist“. Dem folgt dann das wichtigste Beispiel dieser Art, das man sich denken kann: „Es gibt einen Gott“ (l.c. 558). Hier ist evident, daß Schreibungen mit „Gibt's“ oder „Gibts“ völlig fehl am Platze wären, da diese Formen zu salopp sind.

Den subtilsten, scharfsinnigsten und, da es bei diesem Autor gar nicht anders sein kann, den provokativsten Aufsatz über das unscheinbare Wörtchen „es“ hat Karl Kraus geschrieben (Die Sprache 1962, 74ff.). Der Anlaß war eine Stelle in einem Artikel, wo er von dem Abend spricht, „der es werden will“. Das ist die relativische Form des Bibel-Zitats: „Es will Abend werden“, und durch die Umformung wird klar, daß Kraus dieses „es“ als ein richtiges Subjekt auffaßt. Dies aber hielt ein Leser nicht für grammatikalisch korrekt. Im griechischen Urtext dieser österlichen Geschichte mit den Emmaus-Jüngern heißt es übrigens: προσ εσπεραν εστιν, wörtlich übersetzt: „es ist gegen Abend“, auf lateinisch: advesperascit, auf deutsch: „es wird Abend“, seit Luther: „es will Abend werden“ (Lukas 24,29).

Kraus antwortet auf jenen Einwand: „Daß das ‚es‘ in einer Wendung wie ‚es will Abend werden‘ kein ‚vorangestelltes es‘ ist, sondern ein ‚richtiges Subjekt‘, daran habe ich zu allerletzt gezweifelt, als ich das Bibelwort in einen Relativsatz brachte.“ Und er verdeutlicht den Unterschied zwischen den beiden Bedeutungen des „es“ an einem Beispiel, wo sogar eine begriffliche Identität des Nomens vorliegt: „es wird Tag“, wo das „es“ Subjekt ist, und „es beginnt der Tag“, wo „Tag“ Subjekt und „es“ als Stellvertreter oder Platzhalter vorangestellt ist.

Doch unterstreicht er auch die Bedeutung des vorangestellten „es“, das kein Subjekt ist, wie in „es beginnt der Tag“, weil durch diese Aussageform das folgende Subjekt akzentuiert wird. Die Formulierung „es beginnt der Tanz“ macht das Geschehen vor dem Tanz anschaulich: „Taktstock, die Paare gruppieren sich“. Hier ist das „es“ ein dichterisches, kein bloß rhythmisches Element. Dagegen ist „Der Tanz beginnt“ bloß ein Bericht, der nicht dazu anregt, sich das Beginnen anschaulich vorzustellen (S.78).

Sein entscheidendes Beispiel aber, das ihm die Augen für das Problem geöffnet hat, ist „Es werde Licht“, nicht ohne Grund ein Bibelzitat (Genesis 1,3), und erst der Kontext der Schöpfungsgeschichte dürfte ihn auf die nach seiner Meinung wahre Deutung des „es“ als Subjekt gebracht haben: „Das stärkste Subjekt, das es im Bereich der Schöpfung gibt, jenes, das Licht wurde, jenes, das Tag wird, jenes das Abend werden will. (Alles hängt davon ab; alles kann Relativsatz werden.) Es: das Chaos, die Sphäre, das All, das Größte, Gefühlteste, welches schon da ist vor jenem, das daraus erst entsteht.“ (l.c. 77)

So plausibel und der Schöpfungslehre angemessen dieser Gedanke auch erscheinen mag, es stellt sich doch die Frage, ob diese Deutung tatsächlich mit dem biblischen Text zu vereinbaren ist. Denn im hebräischen Original gibt es kein Analogon zu der deutschen Wendung, die wiederum von Luther stammt. Martin Buber übersetzt wörtlich, die Wortstellung übernehmend: „Licht werde! Licht ward“, eine Formulierung, die Kraus kategorisch ausschließt. Freilich läßt sich die lateinische Übersetzung des Hieronymus: fiat lux im Deutschen nur mit „es werde Licht“ wiedergeben, was wiederum für die von Kraus verteidigte Lesart und Deutung sprechen würde (cf. J.Q., Bemerkungen zum Sprachverständnis von Karl Kraus, S.124)

Wie immer man diesen Aspekt beurteilen mag, es dürfte klar geworden sein, daß die Differenz zwischen dem vorangestellten „es“ als richtigem Subjekt oder dem „es“ als Platzhalter für das Subjekt ein „Weltenunterschied“ ist, wie Kraus schreibt.

J.Q. — 10. Okt. 2021

© J.Quack


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