Josef Quack

Rückblick auf ein Bildungskonzept

Dietrich Schwanitz: Bildung. Alles, was man wissen muß.
Frankfurt 1999. 12., überarbeitete Auflage.



Nein, nein, Zitate sind schon gut. Es steht eine geistige Gemeinschaft dahinter. Das klassische Zitat ist das Losungswort der Gebildeten in aller Welt.

Dr. Johnson

Man erinnert sich vielleicht: Die neunziger Jahre waren eine Zeit, wo einige Versuche gestartet wurden, die Idee des klassischen Kanons in der Literatur wiederzubeleben. Einige Literaturverlage brachten Reihen mit den besten deutschen Romanen, den besten deutschen Dramen, den besten deutschen Gedichten, den besten deutschen Essays heraus. An sich eine lobenswerte Sache, die Idee des Vortrefflichen in den Künsten wieder zur Geltung zu bringen, nachdem dieser Idee im Unterricht infolge diverser Schulreformen recht wirkungsvoll der Garaus gemacht worden war. Man nahm bei diesem Wiederbelegungsversuch auch ein paar unverständliche Ausrutscher in Kauf, die Torheit, daß etwa Adalbert Stifter, ein verehrter Klassiker der Nachkriegszeit, nun gänzlich ignoriert wurde, oder die Narretei, daß neben einem klassischen Essay von Kleist auch nichtigste Rezensionen unserer Tage als klassische Essays präsentiert wurden. Wie gesagt, die Idee des klassischen Kanons verdiente es, wieder anerkannt zu werden.
Am Ende des Jahrzehnts ging dann der Anglist Dietrich Schwanitz aufs ganze und faßte in einem Handbuch das gesamte Bildungswissen zusammen oder, wie er mit der ihm eigenen Bescheidenheit schrieb: "Alles, was man wissen muß". Der Band hatte beim ersten Hinsehen eine fatale Ähnlichkeit mit jenem berüchtigten Buchtyp, der sich "Wissen für Manager" nennt, aber eher Halbbildung für Kretins heißen sollte — so werden die Adressaten hier behandelt. Beim näheren Hinsehen aber stellte sich heraus, daß das Kompendium von Schwanitz, trotz der oft flapsigen Redeform und der manchmal allzu aufdringlichen Anbiederung an den Zeitgeist, doch eine respektable Leistung war. Er hat mit bemerkenswerter Kennerschaft eine Menge wissenswertes Wissen zusammengetragen und seinen Lesern mundgerecht-appetitlich serviert. Es ist keine Frage, der Professor war eine Ausnahme, er konnte schreiben.
Wenn man das Buch heute durchblättert, fallen einem wieder zwei Dinge auf, die auch schon bei seinem Erscheinen bemerkt wurden:
1. Obwohl Schwanitz sich bemüht, den Lesern zu einem historischen Bewußtsein im weiteren Sinne zu verhelfen, ist das Buch doch recht literaturlastig, was konkret bedeutet, daß der Autor nicht auf die klassische humanistische Bildung, sondern auf die englische Literatur eingeschworen ist; Shakespeare ist für ihn das Maß aller geistigen Dinge. Folgerichtig setzt er auch voraus, daß ein Gebildeter Englisch kann, nicht aber wie die klassisch Gebildeten Latein und Griechisch. Daraus ersieht man, daß er nur noch einer recht bescheidenen Form der Bildung das Wort redet. Ein großer Repräsentant der klassischen Bildung in England, der Geschichtsschreiber Edward Gibbon, der das Riesenwerk Verfall und Untergang des Römischen Reiches geschrieben hat, wird von Schwanitz denn auch nicht erwähnt. Dr. Johnson, der nach Shakespeare in England am häufigsten zitierte Autor, kommt in dem Buch auch nicht vor.
Übrigens scheint der anglophile Autor auch nicht mitbekommen zu haben, daß die Gebildeten in England heutzutage nicht mehr Gentleman heißen wollen, wie man in der Kulturgeschichte der Manieren des klugen Asfa-Wossen Asserate nachlesen kann.
2. Das naturwissenschaftliche Wissen kommt in diesem Bildungskanon entschieden zu kurz. Schwanitz hat nicht eigentlich realisiert, daß wir in einem technisch-wissenschaftlichen Zeitalter leben, daß Einstein — und nicht Joyce oder Picasso — das exemplarische Genie der Moderne ist (cf. J.Q. Wenn das Denken feiert, S. 195f.). Schwanitz scheint die glänzende Wissensvermittlung, die etwa ein Hoimar von Ditfurth mit seinen Büchern (Im Anfang war der Wasserstoff, Der Geist fiel nicht vom Himmel u. ä.) geleistet hat, schlicht und einfach verpaßt zu haben. Dem entspricht, daß er zwar das Fernsehen, wie es nur billig ist, als echtes Verdummungsmedium entlarvt, soweit es hier überhaupt etwas zu entlarven gibt, daß er aber die trotz ihrer trivialen Auswüchse unverächtlichen digitalen Medien überhaupt nicht kennt. Das Internet, das moderne Kommunikationsinstrument par excellence, das in den neunziger Jahren bei uns schon millionenfach benutzt wurde, kommt bei ihm nicht vor; statt dessen spricht er den psychologischen Kommunikationsjargon flüssiger, als nötig ist.
— Erfreulich ist dagegen, daß er die unselige Rechtschreibreform noch nicht kennt und sein Buch in der bewährten Orthographie geschrieben hat.
3. Einen weiteren Punkt konnte man zwar auch schon damals bemerken, er sticht aber erst heute recht unangenehm ins Auge. Dieses Buch wirkt heute schon, selbst in den Grenzen seiner Intention, ein wenig veraltet. Das macht: es ist allzu aktualtitätsversessen, was wiederum der Idee der klassischen Bildung eklatant widerspricht, da diese Idee das Dauerhafte bezeichnet, was sich als immer gültig bewährt hat, als ein Beständiges, das alle Moden unversehrt überlebt.
So hat Schwanitz neben den Kapiteln, die er der Geschichte Europas, der europäischen Literatur, der Kunst, der Musik, der Philosophie gewidmet hat, auch ein Kapitel über die Geschichte der Geschlechterdebatte eingefügt — was kaum von allgemeiner Bedeutung ist, sondern eher von einem modischen Spezialinteresse seines eigenen Fachgebietes zeugt. Ähnlich zeitbedingt ist die Aufmerksamkeit, die er den ehedem häufig genannten Theorien von Michel Foucault und Jacques Derrida schenkt, Gedankengebilden, deren begrenzte Gültigkeit schon damals erkannt worden war. Auch der spezifische Begriff der Theorie, den er in diesem Zusammenhang verwendet, ist eine modische Umprägung jener Jahre. Diese terminologische Besonderheit, Theorie als eine aparte Denkweise mit dem Anspruch eines universalen Weltbildes, stammt ebenfalls aus der zeitgenössischen Literaturwissenschaft und zwar aus der amerikanischen Sparte dieser Zunft, genauer von Jonathan Culler — was Schwanitz seinen Lesern aber nicht mitteilt.
Damit kommen wir zu einem betrüblichen Punkt dieses Handbuchs, der uns nach den vielen Plagiatsaffären der letzten Jahre doch recht unangenehm aufstößt. Dieser Sachverhalt, den man offensichtlich übersehen hatte, hat mich denn auch veranlaßt, das Buch zu besprechen. Es ist zwar ein altbekannter Brauch der Bildung, daß die Eingeweihten mit literarischen Anspielungen und Zitaten ohne Nennung des Autors spielen; doch ist es ein ebenso alter Brauch, daß man die Autoren namentlich nennt, von denen man seine Gedanken, seine Bonmots, seine Geistesblitze übernommen hat. Schwanitz hat peinlich oft gegen diese Regel verstoßen und sich mit fremden Federn geschmückt.
Es ist unverzeihlich, daß er von Shakespeare sagt, er habe "nächst Gott von der Welt am meisten geschaffen", ohne uns mitzuteilen, daß dieser Gedanke von Joyce stammt. Dann berichtet er, daß die Juden Osteuropas Friedrich Schiller wegen seiner politischen Tendenz besonders geschätzt hätten — was eine Beobachtung ist, die sehr wahrscheinlich auf Gershom Scholem zurückgeht, der hier aber nicht erwähnt wird. Was Schwanitz zur Literaturheorie, ihren Gattungen und Formen ausführt, stammt im wesentlichen von Northrop Frye — es ist sachgerecht, alles in allem sogar vortrefflich, doch Schwanitz deckt die Herkunft seiner Kenntnisse nicht auf; immerhin verweist er im Anhang auf das überaus nützliche, bis heute unentbehrliche Werk von Frye. Außerdem formuliert Schwanitz ein Glaubensbekenntnis der Bildung und ahmt damit stillschweigend ein Credo nach, das Ernst Gombrich in gleichem Sinn und in gleicher Absicht verfaßt hatte.
Auch hantiert er mit dem Begriff der Geschichte als Kollektiv-Singular, einer Kennzeichnung, die wie die damit verbundene historische Perspektive von Reinhart Koselleck stammt — was Schwanitz uns ebenfalls nicht verrät, obwohl er Begriff und Perspektive ausgiebig benutzt.
Das mindeste, was man zu solchen Ausfällen, die ich nicht systematisch gesucht, sondern eher zufällig entdeckt habe, sagen kann, ist, daß dies nicht die feine englische Art ist, mit seinen Quellen umzugehen.
Das Handbuch enthält auch ein paar historische Flüchtigkeitsfehler, über die man nicht einfach hinweggehen kann. Jesus ist, nach dem Neuen Testament, nicht 14 Tage nach Ostern in den Himmel aufgefahren, sondern 40 Tage.
Hitler sei zu einem Jahr Festungshaft verknackt worden, heißt es hier. Tatsächlich war er zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt, aber schon nach einem Jahr entlassen worden.
"Am 6. August 1945 leuchtete über Hiroshima und Nagasaki jeweils ein gewaltiger Blitz", kann man lesen, obwohl die Atombombe auf Nagasaki erst am 9. August 1945 abgeworfen wurde.
Zum Krieg von 1914 schreibt Schwanitz: "Der kollektive Wahnsinn wurde von Deutschland ausgelöst", und heute sei allgemein anerkannt, daß die Kriegsschuldthese, was Deutschland und sein Verhalten 1914 angehe, den Tatsachen entspreche. Diese Behauptung mag für die neunziger Jahre gelten, obwohl auch schon damals Golo Mann, dessen Geschichte im Anhang angepriesen wird, anderer Meinung war, und neuerdings ist diese Kriegsschuldthese keineswegs mehr opinio communis unter den Historikern.
Dann erklärt Schwanitz, zur Ermordung Röhms und seiner Genossen habe Carl Schmitt "gepflegt Beifall gespendet, indem er schrieb: 'Der Führer schützt das Recht'". Das ist zwar richtig, trifft aber nur den halben, weniger schlimmen Sachverhalt, denn das abgedruckte Halbzitat ließe sich ja noch in einem rechtsstaatlichen Sinne auslegen. Skandalös ist vielmehr, was nicht zitiert wird, nämlich daß Schmitt damit gemeint und verdeutlicht hat, daß der Führer "als oberster Gerichtsherr Recht schafft".
Einfach unzutreffend ist die allgemeine Behauptung, die Schwanitz anläßlich eines Hinweises auf die Nordstaaten der USA macht, Industrie setze Freiheit voraus — die Bemerkung wird denn auch durch andere Schilderungen klar widerlegt.
Unkommentiert kann auch die folgende Bemerkung nicht bleiben, die Schwanitz zu dem Völkermord von Hitler-Deutschland an den Juden macht:

Nie hat ein Volk etwas Irrsinnigeres getan. Damit haben sie sich selbst das zugefügt, was sie den Juden zugedacht hatten: Sie haben sich aus dem Kreis der menschlichen Zivilisation hinausbefördert; sie tragen jetzt das Brandzeichen, dessentwegen die Christen die Juden bis in unsere Zeit verfolgt haben: Sie hatten Gott gemordet. Eine Welt, in der das vergessen wird, ist nicht vorstellbar.

Das klingt hochmoralisch und hochpathetisch, zeigt aber bei genauerer Analyse ein paar fatale Denkfehler. Schwanitz übernimmt mit diesen Worten formal das Hauptklischee des Antisemitismus: die Vorstellung, daß ein Volk ein kollektivistisches Subjekt sei, die Meinung, daß ein Volk als ganzes und für alle Zeiten, und nicht einzelne Täter aus einem Volk, für die besagten Verbrechen gegen die Menschheit verantwortlich seien. Davon abgesehen unterscheidet er auch nicht zwischen einem pseudoreligiös motivierten Antisemitismus und einem rassistisch bestimmten Antisemitismus, wie er an anderer Stelle auch nicht zwischen einem staatlich-politischen Antisemitismus, den es in Amerika und England im 20. Jahrhundert tatsächlich nicht gab, und einem gesellschaftlichen Antisemitismus unterscheidet, den es in Amerika und England sehr wohl gab. Ich will damit sagen, daß man über moralisch heikle Punkte nicht derart undifferenziert aburteilen darf, wie unser Autor es tut.
Weniger ernsthaft, aber doch noch schwer genug sind andere Bedenken, die man gegen dieses Handbuch vorbringen muß. Im ganzen überschätzt Schwanitz die Psychoanalyse Freuds so maßlos, wie man es nicht für möglich gehalten hätte. Dies ist der große irreparable Fehler dieses Buches. Von der vernichtenden Kritik an der Lehre Freuds, die Karl Popper, Ludwig Wittgenstein, Jean-Paul Sartre, Hoimar von Ditfuhrt und viele andere Philosophen und Wissenschaftler geübt haben, scheint er nichts mitbekommen zu haben. Die Kritik besagt nichts anderes, als daß an der Wissenschaftlichkeit der Psychoanalyse berechtigte Zweifel bestehen.
An mehreren Stellen reitet Schwanitz begeistert das liebste, das unverwüstliche Steckenpferd der angelsächsischen Literaturwissenschaft: er favorisiert das Stilmittel des sogenannten Bewußtseinsstromes. Er scheint nicht erkannt zu haben, daß dieses Mittel auf eine dubiose Assoziationspsychologie zurückgeht, die wissenschaftlich längst widerlegt wurde, und er scheint sich nicht bewußt zu sein, daß außer Joyce kein einziger Champion des modernen Romans, weder Proust noch Döblin, weder Knut Hamsun noch Joseph Conrad, weder Kafka oder Musil, Joseph Roth oder Thomas Mann, dieses Stilmittel jemals angewandt haben, das Vladimir Nabokov verächtlich einen typographischen Brei genannt hatte (cf. J.Q. Geschichtsroman und Geschichtskritik S. 384).
Manche Philologen scheinen bis heute nicht begriffen zu haben, daß Joyce unter anderem auch schrieb, um die akademischen Leser zum Narren zu halten, und diese nehmen ihn ernster, als der irische Witzbold selbst sein wollte. Im übrigen steht der philologische Kult um ihn in krassem Gegensatz zu dem geistigen Klima in Amerika, wo eine triviale Massenkultur vorherrscht, daneben gibt es eine akademisch aufgemotzte Literaturnische, die vorwiegend postmodernes Kunstgewerbe feilbietet (cf. J.Q. Lesen um zu leben). Vor diesem Hintergrund erscheint die provinziell engstirnige, weil einsprachige New Yorker Literaturkritik, die Schwanitz über den grünen Klee lobt, nicht besonders glaubwürdig. Ihre notorische Unbildung hat sie jüngst erst wieder im Hinblick auf Karl Kraus, der so grundverschiedene Philosophen wie Wittgenstein und Adorno maßgeblich beeinflußt hat, höchst blamabel gezeigt. Wo gibt es denn in der neueren Yankee-Literatur ein Werk, das auch nur entfernt an Die letzten Tage der Menschheit heranreicht?
Daß das deutsche Rezensionswesen kaum der Rede wert ist, hat Schwanitz wiederum richtig gesehen. Zu seinem Glück hat er den Tiefpunkt der Ignoranz in der Zeitungskritik nicht mehr erleben müssen. Vor kurzem brüstete sich ein Schreiber, nicht zu wissen, was Existentialismus sei, und nahm es sich dennoch heraus, über Albert Camus zu urteilen. Gewiß gab es auch früher ungebildete Buchbesprecher — daß sie sich aber ihrer Unbildung rühmen, ist durchaus etwas Neues. Schwanitz streift zwar die Existenzphilosophie Heideggers, ihre epochale Bedeutung hat er aber nicht erfaßt und über den eigentlichen Existentialismus, der das Geistesleben Europas stärker geprägt hat als alle Pseudotheorien der Postmoderne zusammen, verliert er kein Wort. Sartre wird einmal nur en passant, Camus überhaupt nicht genannt — eine durch nichts zu entschuldigende Bildungslücke dieses Buches.
Man muß durchaus anerkennen, daß die anglophile Einstellung des Autors ihn manche Dinge sehen ließ, die anderen Beobachtern der Kultur verborgen geblieben sind. Dem muß man aber hinzufügen, daß ihn diese Haltung auch manches übersehen ließ. So rühmt er zum Beispiel das Ansehen des Liberalismus eines John Stuart Mill in den englischsprachigen Ländern. Dazu hätte er anmerken sollen, daß Mill von der liberalen Staatstheorie Kants und Wilhelm von Humboldts wesentlich beeinflußt wurde, wie wiederum Popper nachgewiesen hat.
Schwanitz preist in höchsten Tönen und zu Recht die große Romanliteratur des 19. Jahrhunderts, fügt aber zu Unrecht hinzu, daß dazu Deutschland nichts beigetragen habe. Er vergißt, E.T.A. Hoffmann, Jean Paul und Theodor Fontane zu erwähnen. Immerhin hat E.T.A. Hoffmann nach Goethe von allen deutschen Dichtern den stärksten Einfluß auf die Weltliteratur ausgeübt (cf. J.Q. Künstlerische Selbsterkenntnis), man denke nur an Gogol, Balzac, Offenbach und Poe, die Schwanitz aber wiederum teils nicht nennt, teils nicht gebührend würdigt.
Was er über ein paar große Philosophen sagt, ist nicht besonders tiefgründig, aber auch nicht, soweit ich es überprüft habe, geradezu falsch. Über die Stoa geht er allzu flüchtig hinweg, ohne zu erwähnen, daß sie der Menschheit die segensreiche Idee des Naturrechts und des Naturgesetzes vererbt hat. Seine Bemerkung, die subjektive Zeiterfahrung habe etwas mit dem physikalischen Relativitätsprinzip Einsteins zu tun, ist jedoch reine Schöngeisterei, purer Unsinn. Er hält die abweisende Kritik an der modernen Kunst, worunter er Dada und die Folgen versteht, für ein Zeichen von Unbildung, während doch eher das Gegenteil zutrifft: Wer die Albernheiten der Gegenwartskunst ernstnimmt, d.h. überhaupt als Kunst betrachtet, sollte doch als ungebildet gelten. Das gleiche müßte man von Leuten sagen, die die christliche Religion nur als Bildungsgut behandeln — wie es auch unser Autor tut.
Womit wir wieder beim Kern dieses Bildungsbuches wären. Schwanitz verbreitet sich wortreich über reflexives Wissen, er zitiert mehr als ein Dutzend Definitionen von Bildung und hat selber doch keine systematische Reflexion über Bildung, keine stimmige Theorie der Bildung anzubieten. Das ist denn doch ein wenig enttäuschend.
Man sieht, Schwanitz kann aus seiner Haut nicht heraus, er ist Philologe und Philologen glauben etwas erklärt zu haben, wenn sie ein Zitat angeführt haben. Philosophen führen dagegen keine Zitate an, sondern Gründe und Argumente, sie erörtern die logischen Beziehungen zwischen Aussagen, stellen Theorien auf und fragen nach der Wahrheit von Theorien.
Wer wirklich etwas Substantielles über die Idee der Bildung erfahren möchte, sei auf Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, oder Ernst H. Gombrich, Die Krise der Kulturgeschichte, verwiesen.

P.S. Eckhardt Momber hat mich darauf hingewiesen, daß Samuel Beckett das Werk Fontanes kannte und schätzte. Gelegentlich spricht er in den freundlichsten Tönen von Effie Briest. Die Frage ist nun, wie man diese unerwartete Beziehung zwischen den beiden grundverschiedenen Autoren einzuschätzen hat. Was ist es, was den irischen Autor und den preußischen Romancier miteinander verbindet? Und wie steht es allgemein mit den Beziehungen zwischen dem deutschen und dem englischen Roman? Fragen, die Schwanitz offen gelassen hat.

J.Q. — 8. März 2014/ Ergänzt am 1. April 2014

©J.Quack


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