Josef Quack

Über die politisch korrekte Dummheit




Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergeblich.

Fr. Schiller

Eine Frau, die sich bei der kommenden Wahl um das Amt des Bundeskanzlers bewirbt, gibt im Bundestag zu erkennen, daß sie nicht weiß, daß die soziale Marktwirtschaft bei uns von Ludwig Erhardt eingeführt wurde. — Wenn es bei uns auch nur den Ansatz einer politischen Kultur oder Rudimente einer nennenswerten Bildungsschicht gäbe, wäre diese Frau durch ein bundesweites Gelächter sofort von der politischen Bühne weggefegt worden.

Nicht anders wäre es ihren Parteigenossen ergangen, die das Wort „Deutschland“ vermeiden wollen, weil mit ihm negative Assoziationen verbunden werden könnten. Von der politischen Bühne wäre auch der Parteiführer verschwunden, der ausplaudert, mit Deutschland nichts anfangen zu können.

Sie wollen ein Land regieren, dessen Namen sie ablehnen! Ein einmaliger Fall in unserer politischen Geschichte und wohl auch in der neueren Geschichte überhaupt. Sie lehnen ein Wort ab, das für Millionen von Flüchtlingen das Land ihrer Sehnsucht bezeichnet, das Land, um dessen Staatsbürgerschaft sich Millionen von Einwanderern beworben haben und dessen Sprache von ausländischen Autoren als das Medium ihrer Dichtung gewählt wurde. Daß heute aber Zeitgenossen, die „Deutschland“ und „deutsch“ in ihrer Rede tunlichst vermeiden, uns vorschreiben möchten, wie wir zu sprechen haben, ist der Gipfel der Frechheit.

Die Ignoranz und Unbildung dieser Zeitgenossen ist abgrundtief. Sie wissen nicht, daß zu Beginn des letzten Jahrhunderts, in der Ära eines Robert Koch, Deutsch die internationale Sprache der Medizin war und viele japanische Ärzte ein wenig deutsch konnten. Es ist ihnen unbekannt, was heute selbst die Germanisten kaum noch wissen, daß die deutsche Lyrik einmal Weltgeltung besaß und es zum guten Ton eines gebildeten Engländers, Franzosen oder Italieners gehörte, deutsche Gedichte von Goethe bis Rilke auswendig zu können, siehe zum Beispiel André Gide, Graham Greene, Umberto Eco, Jorge Luis Borges oder die japanischen Verehrer von Stefan George (cf. J.Q., Rückschritte der Poesie, S.55ff.). Und kennt Jorge Mario Bergoglio, alias Papst Franziskus, Hölderlin nicht im Original?

Das Gehirn jener politischen Kaste ist so einfältig programmiert, daß sie jede Erwähnung von Juden für Antisemitismus halten. Sie sind so weltfremd, geistig so schlicht veranlagt, daß sie sich darüber wundern, daß Kriegsgegner sich hassen.

Die politisch korrekte Dummheit tobt sich derzeit aber besonders heftig auf dem Felde der Kolonialismus-Kritik aus. So wurde eine Berliner Politikerin deshalb getadelt, weil sie das Wort „Indianerhäuptling“ gebraucht hatte; die Begründung war, es sei eine „koloniale Fremdbezeichnung“ und „herabwürdigend gegenüber Angehörigen indigener Bevölkerungsgruppen“ (Focus 15.5.2021).

Diese Leute haben offenbar nie davon gehört, daß die nordamerikanischen Ureinwohner jene angeblich diskriminierende Fremdbezeichnung vielfach selbst übernommen haben, und sie kennen das wirkliche, himmelschreiende Unrecht nicht, daß man, d.h. Regierung und Parlament der Vereinigten Staaten, ihnen angetan hat: das Indian Removal Bill (Indianer-Aussiedlungsgesetz) von 1830, das man den schändlichsten Gesetzestext der Menschheitsgeschichte genannt hat. Es lautet: „Durch dieses Gesetz hebt die Legislatur alle Rechte, Privilegien, Freiheiten und Bürgerrechte, die jene Personen, die sich Indianer nennen, besitzen, beanspruchen oder deren sie sich erfreuen, durch welche Rechtskraft irgendeiner Art von Politik, Gewohnheitsrecht oder Lebenssitten sie auch immer erworben, versprochen oder zugesagt sein mögen, innerhalb der verfassungsmäßigen Grenzen dieses Staatenbundes auf.“ (J. Hembus, Western-Geschichte 1981, 80f.). Übrigens wurden die nordamerikanischen Indianer erst anfangs des 20. Jahrhunderts als Bürger der USA anerkannt.

Daß aber ihr Name diskriminierend sei, ist ein Hirngespinst jener politisch korrekt verdummten Köpfe. Selbstverständlich kann man die wunderbaren Romane James Fenimore Coopers über die Indianer oder die spannenden Wild-West-Geschichten Karl Mays weiterhin ohne jeden Skrupel lesen.

Die gegenwärtig grassierende Verteufelung des Kolonialismus kommt recht naiv in dem Satz zum Ausdruck: „Der Kolonialismus prägt bis heute unser Denken“ (Publik-Forum Nr. 14/2020). Der Satz gibt ein reines Klischee, eine unüberlegte Phrase wieder, wie denn der ganze Artikel von Phrasenhaftigkeit trieft, weil er die ungeheure Komplexität des europäischen Kolonialismus nicht mal ansatzweise in den Blick bekommt und von historischer Bildung völlig unbeleckt ist. Überdies scheint eine recht naive multikulturelle Gesinnung die Meinungen und Vorurteile der Autorin geprägt zu haben. Sie hat wohl noch nie gehört, daß die europäische Kultur samt Aufklärung, demokratischer Bildung und technischer Zivilisation auf dem Boden der griechisch-römischen Kolonisation entstanden ist. Wenn irgendein politisches oder kulturelles Phänomen zwei Gesichter hat, dann der europäische Kolonialismus. Bei den halbklugen Vertretern dieses zeitgeistigen Trends hat man mitunter den Eindruck, sie wollten gesinnungsmäßig in die germanischen Wälder, zu Hermann dem Cherusker und Thusnelda, zurück.

Wieso soll — nach Meinung der Autorin — ein indisches Restaurant im britischen Kolonialstil unser Denken beeinflussen oder der Name der Mohren-Apotheke? Daß noch heute Inder den britischen Kolonialstil pflegen, zeigt doch wohl, daß Indien von den Briten nicht nur ausgebeutet wurde, sondern auch von ihnen profitiert hat. Daß sich die hinduistischen Inder und moslemischen Pakistaner nach der Unabhängigkeit millionenfach umbrachten, geht auf ihr eigenes Konto, nicht auf das Konto der ehemaligen Kolonialmacht. Auch vergessen die gerade modischen Denkmalstürmer und Kritiker des Kolonialismus, daß in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts mitten in Afrika ein Völkermord mit achthunderttausend Opfern stattfand, der mit Kolonialismus nicht das geringste zu tun hatte.

Die Autorin scheint nicht zu wissen, daß ältere Einwohner von Kamerun, die sich noch an die deutsche Herrschaft erinnerten, nach dem Zweiten Welt-Krieg die deutsche Kolonisierung nicht pauschal verurteilten, sondern die Einrichtung der Schulen, die Lesebücher durchaus begrüßten und würdigten.

Auch scheint die Autorin die recht verzwickte Verbotsgeschichte des Wortes „Neger“ nicht zu kennen. Verpönt war zunächst und mit Recht im Amerikanischen das Wort „nigger“, weil es meist absichtlich als Schimpfwort gebraucht wurde. Man wußte auch nicht, daß das Wort sich von dem lateinischen „niger“ und dem spanischen „nigro“ herleitet, das einfach „schwarz“ bedeutet und an sich einen völlig neutralen, sachlich deskriptiven Sinn hat. Während der Bürgerrechtsbewegung Martin Luther Kings sprach man von den "Schwarzen", nach dem Motto: Black is beautiful. Dann wurde auch dieses Wort verdächtig und man sprach nur noch von den "Afroamerikanern". Damit sind aber nur die schwarzen Afroamerikaner gemeint, nicht die aus Nordafrika stammenden Bürger. Man sieht, daß man bei dieser Definition auf das Merkmal der Hautfarbe nicht verzichten kann — was die politisch Korrekten aber nicht wahrhaben wollen. Ihre Doktrin kommt selten ohne Heuchelei aus.

Servil wie die Deutschen kulturell und sprachlich gegenüber den Amerikanern immer sind, haben sie dann auch das neutrale Wort „Neger“ zu einem Unwort erklärt. Die französisch gebildeten Afrikaner haben dagegen gerade die Idee der eigenständigen afrikanischen Kultur mit dem schönen Wort Négritude bezeichnet, wie denn auch die meisten ehemals kolonisierten Völker bis heute die Sprache ihrer europäischen Beherrscher übernommen haben, Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch! Ist etwa der Inder Salman Rushdie zu tadeln, weil er seine Romane auf englisch schreibt und nicht in Hindi oder Urdu?

Daß es neuerdings sogar verpönt ist, die angeblichen Unworte rein informativ zu zitieren, und es nur erlaubt ist, Umschreibungen zu gebrauchen, zeigt aufs kläglichste, daß diese Leute von Sinn und Wesen der Sprache nicht die geringste Ahnung haben. Sie beachten nicht, daß es beim Sprechen zuerst und zuletzt auf die Aussageabsicht ankommt. Der große Sprachtheoretiker Karl Bühler hat anschaulich demonstriert, daß man unter Umständen praktisch jedes Wort der Sprache als Schimpfwort gebrauchen kann und selbst des übelste Wort als Kosenamen. „Na, du alter Gauner“, sagte Helmut Schmidt gelegentlich durchaus freundlichen Sinnes zu F.J. Strauß. Der Ton macht die Musik, gilt auch in der Umgangssprache, nämlich die Aussageabsicht.

Und nebenbei gesagt, sprachtaub und sprachunsensibel wie jene Zeitgenossen sind, wollen sie uns ein pseudomythisches Sprachverständnis aufschwatzen, indem sie, feministisch indoktriniert, nicht zwischen dem grammatischen und dem natürlichen Geschlecht der Wörter unterscheiden (cf. J.Q., Lesen um zu leben, S.158ff.).

Unsere politisch Korrekten scheinen nicht zu ahnen, daß auch eine Paraphrase beleidigend gemeint sein kann, wenn man etwa im Zorn zu jemand „Götz“ sagt, statt das gemeinte Zitat wörtlich auszusprechen. Auf diese Art und Weise wäre es durchaus möglich, auch den politisch-korrekten Ausdruck „N-Wort“ als übelstes Schimpfwort zu gebrauchen. De facto wird der Ausdruck auch von vielen Menschen mit der größten Verachtung ausgesprochen — der Hohn gilt natürlich den politisch korrekten Schwätzern.

Diese unbedarften, sprachunkundigen Sprachpfleger haben offenbar noch nie davon gehört, daß sich einige Neonazis die paraphrasierende Eigenart der Rede für ihre ideologischen Zwecke höchst wirkungsvoll zunutze machen. Sie verwenden das Kürzel 88, das auf den achten Buchstaben des Alphabets anspielt, um einen verbotenen Gruß auszudrücken.

Geradezu lächerlich ist in jener Nummer des Publik-Forums aber der kritische Kommentar zu der „Geschichte von den schwarzen Buben“ von Heinrich Hoffmann. In der Geschichte wird bekanntlich die Intoleranz dreier weißer Buben gegen einen schwarzen Buben dadurch bestraft, daß der Niklas sie noch schwärzer macht als den Mohren, der nichts für seine Hautfarbe kann.

Jedes Kind versteht die Moral dieser Geschichte, nicht jedoch die Autorin des Blattes, sie schreibt nämlich, in einem Tiefsinn vortäuschenden schlechten Deutsch: „Ist das eine gute Idee, damit die Jungen so nachempfinden können, wie das Leben als schwarze und damit oft als von Diskriminierung betffene Person ist? Oder ist es ein fatales Zeichen, wenn Schwarz-Sein als Strafe eingesetzt wird?“ Ich glaube nicht, daß die Autorin selbst verstanden hat, was sie da sagt.

Übrigens gibt es eine moderne Geschichte, die die pädagogische Weisheit, die Hoffmann in seinem Struwwelpeter so anschaulich und einprägsam vorführt, glänzend bestätigt. Hannah Arendt berichtet, daß während des Krieges in den oberen Schulklassen von New York die Aufgabe gestellt wurde, wie Hitler bestraft werden sollte. „Darauf schrieb ein Negermädchen: Man solle ihm eine schwarze Haut anziehen und ihn zwingen, in den Vereinigten Staaten zu leben. Das Mädchen bekam den ersten Preis und ein Stipendium für 4 Jahre College!“ (Br. an Karl Jaspers, 3.1.1960) — Nach dem pädagogischen Unverstand von Publik-Forum hätte das Mädchen diesen Preis gewiß nicht bekommen.

Wie jede Dummheit stellt aber auch die politisch korrekte Dummheit ein echtes Problem dar. Es lautet: Wie kann man Menschen überzeugen, die für rationale Argumente nicht zugänglich sind? Man kann nämlich niemand mit vernünftigen Gründen davon überzeugen, vernünftig zu sein. Um vernünftige Argumente einsehen zu können, muß man nämlich schon vernünftig sein. Man muß sich also, wie der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Karl Popper richtig sagt, dafür entscheiden, vernünftig zu sein. Oder wie die Franzosen sagen: Man verschwendet seine Seife, wenn man einem Esel den Kopf wäscht.

Ergo: Die politische Korrektheit ist eine weitverbreitete, nahezu unheilbare, kollektive Geisteskrankheit. Sie führt uns drastisch vor Augen, daß wir nicht in einem Zeitalter der Vernunft leben.

J.Q. — 14. Juni 2021

© J.Quack



Josef Quack

Ein kapitaler feministischer Sprachfehler




Zufällig stieß ich dieser Tage in der Mittelbadischen Presse auf einen feministisch inspirierten Sprachfehler, der so absonderlich und gekünstelt ist, daß er nicht vergessen werden sollte. In einem historischen Artikel über das „Erbe Luthers in Baden“ vom 23. Juli 2012 hieß es: „Vormünderin der noch minderjährigen Söhne Bernhards wurde deren Tante Jakobäa, die mit dem Herzog Wilhelm IV. von Bayern verheiratet war.“

„Vormünderin“ ist, wie man zugeben muß, ein recht gekünstelter Ausdruck, eine eigenwillige, durchaus originelle, komplizierte Fehlkonstruktion. Sie geht offenbar auf folgende Überlegung zurück:
— Der Schreiber erinnert sich an das Wort „der Vormund“
— er faßt das grammatische Geschlecht als natürliches Geschlecht auf
— er bildet den Plural „die Vormünder“
— er deutet die Pluralform als Singularform, ähnlich wie „Träger“ oder „Diener“
— er hängt nach dem Schema „Träger – Trägerin“, „Diener – Dienerin“ dem Wort eine weibliche Endung des Singulars an.

Wie man sieht, ist die Wortbildung das Ergebnis eines komplexen Gedankengangs. Sie ist alles andere als ein Flüchtigkeitsfehler und man kann ihn auch nicht als typischen Zeitungsfehler einstufen. Der Ausdruck steht nämlich in einem historischen Artikel, der Tage oder Wochen vor seiner Veröffentlichung geschrieben wurde.

Typische Zeitungsfehler aber kommen unter Zeitdruck zustande und finden sich gewöhnlich in aktuellen Meldungen und Kommentaren, die in Eile formuliert und in noch größerer Eile gegengelesen werden. Diese drucktechnisch bedingte Eile erklärt auch, warum die Zeitungssprache so häufig Klischees und Phrasen enthält — die Journalisten der Tagesmeldungen haben keine Zeit, sich etwas Besseres einfallen zu lassen und ihre Berufskrankheit besteht darin, daß sie sich das sorgfältige Denken abgewöhnt haben, wenn sie es überhaupt jemals besaßen.

Der Kasus aber lädt dazu ein, ein wenig über die Fehleranfälligkeit unseres Schreibens nachzudenken. Wir benutzen im wesentlichen drei Geräte zum Schreiben: den Füller (Bleistift oder Kugelschreiber), die Schreibmaschine und das Textprogramm des Computers. Dem entsprechen die drei Schriftformen: die Handschrift, die Maschinenschrift und die digitalisierte Schrift. Die Unterschiede zwischen diesen Schriftarten sind so fundamental wie die Unterschiede der dabei benutzten Geräte.

Die Feder ist nämlich ein Werkzeug. Das Werkzeug ist aber, wie der Kulturphilosoph Theodor Haecker klarstellte, „eine Fortsetzung und eine Bereicherung der Hand; seine Tendenz geht dahin, sich immer mehr vom Menschen beherrschen zu lassen …. Dagegen ist die Maschine um so vollkommener, je mehr sie vom Menschen unabhängig, also Automat wird“ (Sigismund von Radecki, Die Welt in der Tasche 1958, 206). Als Beispiel könnte man hier einen Satz aus dem phantastischen Roman Vathek von William Beckford (1787) anführen. Darin ist die Rede von „Pantoffeln, die den Füßen beim Gehen helfen“. Das unvergeßliche Wort ist deshalb wunderbar, weil es einfachen Kleidungsstücken die Funktion von Werkzeugen zuschreibt.

Radeckis Aufsatz, „Der Gedanke der Schreibmaschine“ (1938), auf den ich mich im folgenden stütze, ist übrigens die gründlichste analytische Untersuchung über Funktion und Wesen der Schreibmaschine. Er bezieht sich auf das künstlerische Schreiben, wo es darum geht, im Schreiben, tastend, probierend und verbessernd, die passende Form für einen Gedanken zu finden oder die Gedanken, die beim Schreiben kommen, in den allmählich sich herstellenden Text zu integrieren. Radeckis gut begründete These ist nun, daß diese Funktion nur durch die Feder erfüllt werden kann. Dagegen täuscht die Schreibmaschine, als Instrument der Reproduktion, durch die perfekte Gestalt der Schrift eine geistige Vollendung vor, die der Text nicht besitzt, und dies auch deshalb, weil Korrekturen hier schwieriger sind als bei der Handschrift.

Übrigens dürfte die Sache bei jenem philosophischen Schreiben, wo es auf logische Genauigkeit ankommt, ein wenig anders aussehen. Wir haben nämlich das Beispiel, daß das imposante Werk der analytischen Philosophie von Ernst Tugendhat auf einer Schreibmaschine zustande gekommen ist.

Was nun die Fehler angeht, so dürfte es bei der bedächtigen, konzentrierten, aufmerksamen Handschrift die wenigsten Fehler geben, während bei der eiligen Maschinenschrift wohl mehr Flüchtigkeitsfehler unterlaufen.

Das Textprogramm des Computers aber hat die Eigenschaften eines Automaten, es scheint die Vorzüge der Handschrift und der Maschinenschrift in sich zu vereinen. Der Text läßt sich leicht korrigieren, ein Rechtschreibeprogramm zeigt die Fehler an, der Text kann kopiert werden und das Programm enthält automatische Funktionen. Man gibt die ersten Buchstaben eines Wortes ein und erhält sofort Vorschläge, wie das Wort zu vervollständigen wäre. Außerdem gibt es eine Funktion, ein Dokument in einem Resümee zusammenzufassen, und hier habe ich die Erfahrung gemacht, daß die automatische Zusammenfassung eines Aufsatzes sinnvoller und treffender ist als die Zusammenfassung, Abstract genannt, die die Redakteure einer Zeitschrift herstellten. Die Automatisierung der Textverfassung ist also keineswegs immer negativ zu betrachten.

Die typischen Fehler eines Computertextes bestehen darin, daß Wörter durch die Autotext-Funktion falsch vervollständigt und diese Fehler vom Autor nicht beachtet wurden: statt Singular wird Plural ausgedruckt, statt dem intendierten „Dienstag“ liest man „Dienstagsabend“ u.ä.

Dem genannten Sprachfehler aber kann man ansehen, daß er entweder einem Text entstammt, der nicht auf dem Computer hergestellt wurde, oder daß der Autor die automatische Fehleranzeige des Wortes im Programm ignoriert hat und zwar aus Gründen der politischen, feministisch motivierten Korrektheit. Er wollte das Textprogramm im Sinne der Gender-Sprache korrigieren.

Übrigens kam es gelegentlich zu ähnlichen Fehlerbildungen wie in unserem Beispiel. So war in einer Zeitung von „SPD-Mitgliederinnen“ die Rede (FAZ 25.4.09). Der Fall ist aber insofern einfacher, als hier der Pluralform „Mitglieder“ gedankenlos eine weibliche Pluralendung angehängt wurde (cf. J.Q., Lesen um zu leben, S.160).

Die Formulierung der „Vormünderin“ ist aber nicht gedankenlos erfolgt. Ihr war vielmehr eine komplizierte Art der Sprachschöpfung vorausgegangen, ein Moment der höchst bewußten Sprachverwendung, nämlich die feste Absicht, ein Wort im Sinne der feministischen Redenorm zu bilden.

Diese Willfährigkeit und Servilität gegenüber einer Sprachmode, die zwischen grammatischem und natürlichen Geschlecht mythisierend keinen Unterschied mehr macht, zeigt aber aufs deutlichste die ungeheure Macht des Zeitgeistes, der seinerseits von der Doktrin der politischen Korrektheit beherrscht wird.

J.Q. — 3. Sept. 2021

© J.Quack


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