Josef Quack

Arno Schmidt unter Freunden

Arno Schmidt: Briefwechsel mit A. Andersch, W.Michels, E.Schlotter. Zürich 1985ff.



Wer sich den Briefwechsel Schmidts mit seinem Schriftstellerkollegen Alfred Andersch, dem mäzenatischen Studienrat Wilhelm Michels und dem befreundeten Maler Eberhard Schlotter anschaut, wird eine erstaunlich offene Kritik an Werk und Haltung des Meisters ausgesprochen finden, aber auch feststellen, daß Schmidt sich davon kaum beeindrucken ließ. Und man wird über das tiefste Schockerlebnis informiert, das Schmidt widerfuhr. Es hat seine letzten Lebensjahre stark verdünstert und ihn vermutlich bestimmt, seinen ehrgeizigsten Werkplan endgültig aufzugeben. Die ironische Pointe dabei ist, daß der Streich von Schmidt-Fans ausgeführt und von einigen seiner Bewunderer mit den Argumenten einer fadenscheinigen Ideologie gerechtfertigt wurde.
So ereilte ihn schließlich ein ähnliches Schicksal wie Stifter, dessen Romane er nicht besonders schätzte. So wie sich um dessen Werk einst ein abschreckender Verehrerzirkel versammelt hatte, so lagerte sich vor sein Werk eine wenig einladende Fan-Gruppe. Freilich ist Stifter eine Schändlichkeit wie die Raubdruck-Affäre erspart geblieben.
Mit diesen Leuten haben die genannten Briefpartner nun nichts zu tun. Wilhelm Michels scheint aus dem Bekanntenkreis Schmidts derjenige gewesen zu sein, der dem Autor am derbsten seine Meinung zu sagen verstand — über seine literarischen Arbeiten und über sein persönliches Verhalten, das gelegentlich kleinliche Züge annahm. Als alter Schulmeister ließ Michels dergleichen nicht ungerügt durchgehen. Andererseits sah er sofort, wo es bei Schmidt fehlte, und er half tatkräftig, zuerst mit Freßpaketen, dann mit einem Darlehen für den Hauskauf und immer wieder mit kleineren Summen. Schmidt hat die Kritik an seinen Werken niemals vergessen und ihm ist an Zuspruch durchaus gelegen:

So von 2,3 Menschen würde ich ganz gern, auch in meinen künstlerischen Bemühungen, einigermaßen begriffen. (20.12.60)

Darauf gibt Michels zu, daß er den Autor etwas grob behandelt habe, bekennt seine Schuld aber recht widerborstig:

Ich weiß seit geraumer Zeit, daß ich dich früher oft statt wie ein rohes Ei nur roh behandelt habe. (23.12.60)

Doch hält er auch weiterhin mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. Was er über die Persönlichkeit des Mannes sagt, ist immer aussagekräftiger als die Auskünfte der psychoanalytisch indoktrinierten Deuter.
Auch das Verhältnis zu Andersch, dem zweiten Freund, der Schmidt tatkräftig unterstützt hat, war zu Zeiten stärkeren Belastungen ausgesetzt. Andersch hatte Schmidts literarischen Rang früh erkannt und sich als Kritiker für ihn eingesetzt. Er verschaffte ihm eine solide Einnahmequelle, indem er ihn aufforderte, Essays für das von ihm geleitete Rundfunkprogramm zu schreiben. Erstaunlich ist Anderschs diplomatisches Geschick, das ihn befähigt, gelegentliche Differenzen taktvoll aus dem Weg zu räumen oder stillschweigend zu übergehen. Er war in Sachen der Literatur nicht dogmatisch verengt, seiner Toleranz fiel es nicht schwer, sowohl Thomas Mann als auch Ernst Jünger und Arno Schmidt zu verehren.
Und er hat einige kritische Argumente vorgebracht, die bis heute für die Beurteilung von Schmidts literarischer Bedeutung gültig sind. Ihm ist bei Schmidt das gelegentliche enorme Mißverhältnis aufgefallen zwischen dem, was er sagt, und wie er es sagt. Er hat das biographistische Handicap seiner Literaturbetrachtung bemerkt, die eigentliche Bedeutung seiner antiquarischen Studien erkannt und als erster seinen antichristlichen Affekt richtig eingeschätzt.
Ihre Beziehung geriet in eine tiefe Krise, die jedoch überwunden werden konnte, und in späteren Jahren stellte sich wieder ein Einverständnis her. Zu der Mißstimmung, die in Stephan Reinhardts Andersch-Biographie (1990) dokumentiert ist, kam es, weil Schmidt in Zettels Traum sich abfällig über einen zeitgenössischen Autor geäußert hatte, der Andersch auffallend ähnlich war; die damaligen Leser haben die Anspielung jedenfalls ohne weiteres in diesem Sinne gedeutet. Was darauf folgte, war eine diplomatische Aktion, wie sie sonst nur zur Bereinigung einer Krise zwischen Souverän und Souverän üblich ist. Andersch wandte sich an den Lektor seines Verlages, der sich wiederum mit dem Lektor von Schmidts Verlag ins Benehmen setzte. Krawehl fühlte bei Schmidt vor, Schmidt beauftragte seine Frau, eine beschwichtigende Antwort an Krawehl zu schicken, Krawehl benachrichtigte den Lektor des anderen Verlags und dieser leitete den Brief an Andersch weiter, der sich mit Schmidts Versicherung zufriedengab.
In seinem späteren Essay über Schmidt hat er aber nicht Zettels Traum behandelt, sondern Caliban über Setebos, und als er gebeten wurde, ihm die Laudatio zur Verleihung des Goethe-Preises zu halten, lehnte er ab — nachdem er zwei Monate vorher die große Rede auf Ernst Jünger in Amriswil gehalten hatte. Übrigens war Andersch im Bekanntenkreis des schwierigen Autors wohl der einzige, der gesehen und höflich-galant ausgesprochen hat, was Alice Schmidt für das Schaffen ihres Mannes geleistet hat. Seine Haltung sticht aufs angenehmste von der groben Ungeschliffenheit ab, mit der einige Fans über diese Frau sprechen.
Ein betrübliches Kapitel ist die Beziehung Schmidts zu Helmut Heißenbüttel, Anderschs Nachfolger als Leiter des Nachtstudios. Er war ein Vertreter des experimentellen Neo-Avangardismus, ein Redakteur, dessen Literaturverständnis sich immer mehr dogmatisch verengte. Als er mehrere Radio-Essays refüsierte, brach Schmidt den brieflichen und persönlichen Kontakt zu ihm ab. Was Heißenbüttel über Schmidts Werk zu sagen hatte, war, wie so vieles, was er an Kritischem publizierte, von einer modernistisch getarnten, phänomenalen Oberflächlichkeit. Er hat wohl nie begriffen, was er abgelehnt hat — es wird heute noch gelesen, während das meiste, was er damals literarisch propagierte, zu Recht im Orkus verschwunden ist.
Jedoch gibt es eine Ausnahme, die dazu angetan ist, das Wirken des fatalen Mannes zu entschuldigen. Er war es, der Jean Améry ermutigt hat, autobiograpisch zu schreiben, und er hat ihn nachhaltig gefördert. Er hat die Essayfolge Amérys Jenseits von Schuld und Sühne, eines der gültigsten autobiographischen Bücher über Auschwitz, zuerst gesendet; auch hat er dem Autor später einen deutschen Verlag vermittelt. Als selbstschreibender Poet war Heißenbüttel, wenn man ihn mit Sprachkünstlern wie Schmidt oder Ernst Jandl, einem Vertreter seiner Richtung, vergleicht, so unbegabt wie unbedeutend, als Radioredakteur war er zwei Jahrzehnte geradezu absurd einflußreich. Es war deshalb ganz in der Ordnung, daß er — und nicht Andersch oder Schmidt oder Améry — mit dem Büchnerpreis geehrt wurde.
Schmidt war gewiß kein umgänglicher Zeitgenosse. Er wußte es selbst am besten, wenn er auch erst in den letzten Jahren, große Dialog-Romane schreibend, fast jedem Gespräch und jeder Diskussion aus dem Weg ging. Und, großzügig wie er in solchen Dingen war, leitete der selbstbewußte Solitär, im Herder-Essay, aus seiner persönlichen Einstellung eine allgemeine Beobachtung ab:

Denn es ist eine Binsenwahrheit, daß alle Dichter, im bürgerlichen Sinne, zur Freundschaft unfähige, dazu launenhafte, im Umgang unzuverlässige und affenhaft-bösartige Subjekte sind.

Selbstverständlich gibt es kein Naturgesetz, daß alle genialen Solitäre sich gleich verhalten, und es gibt kein Naturgesetz, daß sich ihr Sozialverhalten signifikant von dem Benehmen der gewöhnlichen Sterblichen unterscheidet.
Dafür aber, daß er in den letzten Jahren sich fast vollständig auf sich selbst und seine Produktion zurückzog, bietet der Briefwechsel mit E.Schlotter manche einleuchtende Erklärung. Vor allem wird evident, daß die Raubdruck-Affäre, der unerlaubte Nachdruck von Zettels Traum, des Riesenwerkes, in das er Jahre angestrengtester, mühseligster Arbeit gesteckt hatte, für ihn zu einem Schock wurde, von dem er sich niemals mehr ganz erholen konnte. Der Schlag erschütterte sowohl sein Selbstbewußtsein wie auch seine materielle Basis, denn als >freier< Autor war er nun einmal auf das Honorar seiner Bücher angewiesen. Alice Schmidt klagt, daß sie wegen des Raubdrucks gezwungen waren, auf die unvorteilhaften Publikationsbedingungen seines damaligen Verlages einzugehen (8.12.70). Und Schmidt erklärt, daß ihm die "Energie und die Konzentration" fehle, mit der Arbeit an einem neuen Werk zu beginnen (27.11.70). Die schlimmste Folge war wohl, daß er unter dem Schock des Raubdrucks, wie wiederum seine Frau mitteilt, das große Projekt seines Lebens, den Lilienthal-Roman, zurückstellte (24.4.71). Er hat niemals mehr die Kraft gefunden, den Plan zu verwirklichen.
Schmidt hatte Jahre vorher an Krawehl, seinen Lektor, geschrieben und seinem Ärger über die Mißgunst seiner Zeitgenossen Luft gemacht:

1 Leben für die Deutsche Literatur; und immer finden sich Mistviecher, die mir Schwierigkeiten machen ! Ich protestiere hiermit feierlich dagegen, jemals als ›Deutscher Schriftsteller‹ von dieser Nation von Stumpfböcken vereinnahmt zu werden ! Deutschland hat mich immer nur von Ort zu Ort gehetzt, und miserabel für meine cyclopische Schufterei entlohnt ! (18.3.63)

 — Daß ihn aber seine Fans schlichtweg bestehlen würden, hatte der Pessimist in seinen schwärzesten Träumen nicht geahnt.
"Vorüber, ihr Schafe, vorüber!"

J.Q.   —   8.Juni 2002

©J.Quack


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