Josef Quack

Über das diffuse Echo des Mißbrauchsskandals in der katholischen Kirche




Im Prinzip ist über den Mißbrauchsskandal in der katholischen Kirche alles Nötige gesagt (cf. Benedikt über die Krise der Kirche). Es wurde wiederholt festgestellt, daß die Bischöfe zwei schwere Fehler begangen haben. Der erste und größte Fehler war, daß sie überhaupt pädophil veranlagte oder eingestellte Männer zum Priestertum zugelassen haben. Der zweite Fehler, der daraus fast automatisch folgte, war, daß sie die straffällig gewordenen pädophilen Kleriker nicht aus der Seelsorge zurückgezogen oder ganz aus dem Amt entfernt haben. Hier wäre aber daran zu erinnern, daß man diese Kleriker erst dann in den Laienstand versetzen konnte, nachdem Kardinal Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation die kirchenrechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen hatte.

Was das heftige Echo auf die jüngsten Veröffentlichungen zu den Mißbrauchsfällen im Erzbistum München angeht, so ist evident, daß hinter den Vorwürfen gegen die Kirche nicht nur ehrliche und gerechte Empörung steckt, sondern in einigen Fällen offensichtlich auch antikirchliche oder antirömische Ressentiments. Gelegentlich kommt auch der uralte Affekt gegen den Katholizismus überhaupt wieder zum Vorschein, wie es schon im letzten Wahlkampf bei politischen Funktionären zu beobachten war. Wie dem aber sei, selbst wenn hinter den Vorwürfen die niedrigsten Beweggründe stecken sollten, es kommt nicht auf die Motive der Anklage an, sondern allein darauf, ob die Vorwürfe wahr und sachlich begründet sind. Wenn dies nachgewiesen ist, müssen sie ernstgenommen und die Konsequenzen daraus gezogen werden.

Freilich gilt auch in diesem Prozeß der rechtliche Grundsatz: In dubio pro reo, im Zweifelsfall, wenn der Mißbrauch nicht überzeugend nachgewiesen oder auch das strafbare Verhalten der Kirchenoberen nicht sicher erkennbar ist, denn müßte zugunsten der Beschuldigten entschieden werden.

Nun darf man ja doch wohl noch den Standpunkt des gesunden Menschenverstandes einnehmen und meinen, daß es nicht besonders überzeugend ist, wenn einem Mann nach vierzig Jahren einfällt, daß er als Junge von Klerikern mißbraucht wurde und er nun darüber einen pornographischen Bericht abgibt. Ich muß sagen, daß mich das Thema inzwischen anödet, ich will es nicht vertiefen, sondern nur die Beobachtung mitteilen, daß manche Enthüllung sich nicht von Sexschnüffelei unterscheiden läßt.

Nicht weniger kurios klingen einige Stimmen der öffentlichen Meinung. So konnte man im Internet einen Kommentar lesen, in dem es hieß, die Mißbrauchsfälle hingen mit dem kirchlichen Tabu, was die Sexualität angeht, allgemein zusammen. Es wurde auf die verheimlichte Homosexualität mancher Priester und auf das Zusammenleben anderer Priester mit einer Frau verwiesen. Richtig ist, daß die systematische Vertuschung der klerikalen Vergehen mit jenem Tabu zusammenhängt. Falsch ist die Folgerung des Kommentators, daß die Zulassung verheirateter und homosexueller Priester den Mißbrauch Jugendlicher durch Kleriker verhindern könnte. Freilich wird damit ein heikler Punkt in der Praxis der Kirche angeschnitten.

Da dieses Thema aber nun mal genannt wurde, möchte ich dazu sagen, daß ich nicht verstehe, wie manche Menschen Priester werden, obwohl sie nicht gewillt sind, die damit gegebene Verpflichtung des Zölibats einzuhalten, sondern es fertig bringen, ein Leben lang eine verlogene Existenz zu führen. Diesen Klerikern ist die intellektuelle Redlichkeit offenbar fremd. Daß die Kirche aber diese Zustände, wegen des Priestermangels, stillschweigend duldet, ist eine weitere, nicht zu entschuldigende Schwäche der Institution.

Was tun? Wie kann die katholische Kirche ihre Glaubwürdigkeit wieder gewinnen? Es dürfte klar sein, daß es nicht genügt, daß die Kirchenfunktionäre, die die klerikalen Straftäter in Schutz genommen und ihre Verbrechen verheimlicht haben, sich nun für ihre Unterlassungen entschuldigen. Dies wäre ein allzu billiger, nur scheinbarer Ausweg aus der moralischen Misere der Institution.

Meines Erachtens könnte nur eine Radikalkur helfen. Die Amtskirche, die Kirche insgesamt, könnte nur dann Vertrauen wieder gewinnen, 1. wenn sie alle klerikalen Täter aus dem kirchlichen Dienst entfernen würde, 2. wenn alle von der Affäre betroffenen Bischöfe oder Oberen ihr Amt aufgeben, gleichviel was Rom dazu sagt, die Kutte nehmen, ins Kloster gehen oder sich ins Privatleben zurückziehen würden, 3. wenn die Kirche die objektive Verlogenheit in sexuellen Dingen aufgeben, d.h. wenn sie die Priester, die sich nicht an das Zölibat halten, und die praktizierenden homosexuellen Priester konsequent laisieren würde.

Die Kirche könnte also wieder glaubwürdig werden, wenn sie sich so verhalten würde, wie sie sich ihrem moralischen Selbstverständnis gemäß ohnehin verhalten sollte. Wenn sie diese radikale Reform wirklich durchführte, würde sie wahrscheinlich eine kleine Herde werden, aber eine Gemeinschaft, die wieder achtenswert ist und geachtet wird; sie würde aber erst recht in einer säkularen Gesellschaft auch angefeindet werden. Daß die Christen jedoch sozusagen notwendig in der „Welt“ angefeindet werden, kann man schon in der Bibel lesen.

J.Q. — 28. Jan. 2022

© J.Quack


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