Josef Quack

Zum vermeidbaren Erstarken der politischen Rechten




Wenn politisch rechte Parteien und Bewegungen entstehen oder kräftig erstarken, so ist dies ein Zeichen, daß es zunehmend Bürger gibt, die glauben, daß die regierenden und etablierten Parteien die nationalen Interessen des Landes sträflich vernachlässigen. Denn politisch rechts eingestellt zu sein bedeutet, nationalistisch zu sein. Man kann natürlich gegen solche Trends auf die Straße gehen und medienwirksam demonstrieren. Das bedeutet aber nicht mehr, als seine politisch gute Gesinnung öffentlich zur Schau zu stellen – eine greifbare politische Wirkung haben solche Demonstrationen in aller Regel nicht. Sie dienen nur zur Besänftigung des eigenen Gewissens.

Es wäre in diesem Fall vielmehr angebracht, die kleinen grauen Zellen zu aktivieren und sich Gedanken darüber zu machen, welches denn die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ursachen für diesen nicht zu übersehenden Rechts-Trend hierzulande sind. Stimmt es denn wirklich, daß die derzeit Regierenden und die übrigen Parteien die berechtigten Interessen Deutschlands vernachlässigen? Nun, es gibt ein paar Fakten, die diesen Verdacht erhärten könnten.

Letztens haben zum Beispiel die Bauern gegen Kürzungen der Agrarsubventionen demonstriert, während die Regierung in den zurückliegenden Jahren die Ukraine mit hunderten Millionen Militärhilfe unterstützt hat. Nicht erst in jüngster Zeit wurde aber bekannt, daß es in der Versorgung der ukrainischen Armee zu horrenden Korruptionsfällen gekommen ist. Ganz ähnlich liegt der Fall bei der Energieversorgung Deutschlands. Die Regierung nahm erhöhte Gas-, Strom-, Benzin- und Ölpreise in Kauf, indem sie die Gaslieferung aus Rußland stoppte. Auch hier kann man fragen, ob diese Maßnahmen denn wirklich im nationalen Interessen unseres Landes waren. Es ist eine Frage, in der man durchaus geteilter Meinung sein kann, ohne deshalb schon ein Rechtsextremist zu sein.

Politisch rechte Parteien und Bewegungen sind in der Regel mehr oder weniger extrem fremdenfeindlich. Es genügt natürlich nicht, dies zu verurteilen und dagegen zu demonstrieren. Hier wäre vielmehr soziologisch zu untersuchen, welche Motive hinter dieser Haltung stecken. Es wäre vorurteilslos zu fragen, ob es für diese Einstellung denn überhaupt objektive Gründe gibt oder ob es sich um reine Ressentiments handelt.

Hierzu wäre zweierlei zu sagen. Ein Motiv für den übersteigerten Nationalismus der Rechten ist sicher auch in der Einstellung einiger Regierungsleute zu sehen, die von einem deutschen Patriotismus nichts wissen wollen – von einer Beziehung zu ihrem Land, die für andere Nationen, für Franzosen, Schweizer, Engländer, Spanier, Dänen, Amerikaner etc. selbstverständlich ist.

Zweitens muß man feststellen, daß die „politisch korrekte“ Kampagne gegen die Fremdenfeindlichkeit der Rechten, insofern es sich dabei um Antisemitismus handelt, alles andere als überlegt, korrekt oder sinnvoll ist.

Mitten in Frankfurt, in der Nähe der Hauptwache, hängt an einer kirchlichen Informationsstelle ein großes Plakat mit der Inschrift: „Nie wieder. Gegen jede Form von Antisemitismus“. Dieser Tage ging ein älteres Paar an dem Plakat vorbei und der Mann knurrte: „Antisemitismus. Man kann es nicht mehr hören.“ Es wäre nun sicher falsch, aus diesen Worten zu schließen, daß der Mann Antisemit sei. Er wollte vielmehr sagen, daß der Slogan durch den ritualisierten, besinnungslosen Gebrauch im Munde von Politikern und Meinungsmachern zu einer hohlen, sinnlosen Phrase, einem puren Klischee geworden ist.

Genauer betrachtet, d.h. wenn man das Plakat einmal beim Wort nimmt, dann muß man gegen den Slogan zwei Einwände machen: der Slogan zeugt von politisch-historischer Halbbildung und von falschem Wortgebrauch.

„Nie wieder“ verweist auf eine historische Reminiszenz, gemeint ist damit ein Hinweis auf den Antisemitismus Hitlers und den Nationalsozialismus, und es soll verhütet werden, daß eine solche Bewegung jemals wieder politisch entstehen könne. Damit wird aber vorausgesetzt, daß Hitler und seine Partei wegen ihres Antisemitismus im Januar 1933 an die Macht gekommen sei. Das aber ist einfach falsch. Hitler ist nicht durch die Judenfeindlichkeit der NS-Ideologie an die Macht gekommen, sondern weil die demokratischen Parteien der Weimarer Republik versagt haben. Sie waren unfähig, die außenpolitischen Probleme und die Wirtschaftskrise zu bewältigen; schlimmer noch, sie versuchten es nicht mal, sondern stahlen sich aus der Verantwortung (cf. J.Q., Das Ende der Weimarer Republik) .

Golo Mann hat auf die vielfach übersehene Tatsache hingewiesen, daß „die jüdische Frage“ in den Wahlkämpfen der Jahre 1930 bis 1932, als die Partei Hitlers zur Massenpartei wurde und die größte Fraktion im Reichstag stellte, im Wahlprogramm der Partei, in den Reden und Kundgebungen Hitlers mit keinem einzigen Wort erwähnt wurde. Und zur antisemitischen Praxis des NS-Regimes schreibt Mann: „Nie sind die Verwirklichungen von Hitlers Judenhaß in Deutschland populär gewesen.“ (G. Mann, Zeiten und Figuren 1979, 177ff.) Sebastian Haffner erklärt präzisierend zu diesem Thema: „Ein großer Teil dessen, was an passivem Widerstand der Hitlerwelle standhielt, war durch seinen Antisemitismus verursacht.“ (Anmerkungen zu Hitler 2003, 119).

Zweitens muß man gegen jenen Slogan einwenden, daß das Wort „Antisemitismus“ falsch gebraucht wird. Gemeint ist vielmehr der Antijudaismus oder der Antizionismus, die Feindschaft gegen die Juden oder gegen den Staat Israel. Man spricht gedankenlos vom Antisemitismus der Palästinenser oder ihrer Sympathisanten, obwohl sie selber natürlich Semiten sind. Außerdem unterscheidet der Slogan nicht zwischen dem Antijudaismus der palästinensischen, arabischen oder islamischen Sympathisanten und dem Antijudaismus der Deutschen oder Europäer. Die Palästinenser sind Kriegsgegner Israels und von ihnen israelfreundliche Gefühle zu erwarten oder zu verlangen, ist einfach töricht angesichts von 25 000 toten Palästinenser, die der Krieg inzwischen gekostet hat.

Anders steht es mit dem Antijudaimus eingesessener Deutscher. Damit sind natürlich nicht die Menschen gemeint, die Israel und seine brutale Kriegsführung in Gaza kritisieren; denn man kann niemand verbieten, die Wahrheit zu sagen. Mit dem Antijudaismus gewisser Deutscher ist vielmehr ein starkes Ressentiment, eine irrationale Abneigung, im schlimmsten Fall ein ungehemmter Haß gegen Juden gemeint. Diese Strömung gilt es in der Tat, mit allen politischen und rechtlichen Mitteln zu bekämpfen. Freilich sind unsere Politiker und die medialen Meinungsmacher ratlos, wie man dieser Einstellung wirkungsvoll beikommen könnte.

Man soll sich aber nicht täuschen, daß es in diesem Land außerdem ein Phänomen gibt, das als solches kaum wahrgenommen wird: gemeint ist ein klammheimlicher Antijudaismus, dessen Ursachen und Gründe längst nicht erforscht sind, weil er ein vertuschtes oder verheimlichtes Phänomen ist und allenfalls in privaten Milieus zum Ausdruck kommt.

Ähnlich mißverständlich wie der Ausdruck "Antisemitismus" ist der Ausdruck "Philosemitismus". Er steht für die judenfreundliche, pro-israelische Gesinnung. Bekanntlich wurde sie von dieser Regierung wie von der vorigen zur offiziellen deutschen Doktrin erklärt. Der Philosemitismus ist aber nur dann glaubhaft und nicht verlogen, wenn seine Vertreter das Verhalten Israels mit den gleichen moralischen Maßstäben messen wie das Verhalten Rußlands. Denn die Moral ist universal gültig, sie kennt nicht zweierlei Maß. Die Devise "Right or wrong, my country!" (Recht oder Unrecht - mein Vaterland!) ist eine nationalistische Devise und zutiefst unmoralisch.

Bei Israel möchte ich nur auf zwei Probleme hinweisen, die aus heutiger Sicht wohl nicht so schnell bewältigt werden können. Einmal geht es um das Problem der Palästinenser, zu deren Lösung die USA und andere Länder die Gründung eines Palästinenserstaates vorgeschlagen haben. Da die jetzige Regierung Israels diesen Vorschlag ablehnt und in Israel dazu der politische Wille fehlt, wird es zu dieser Lösung vorerst nicht kommen. Sollte im Herbst Donald Trump die Wahl in Amerika gewinnen, wird es erst recht keine derartige Lösung geben, wenn er an seiner entschiedenen Pro-Israel-Politik festhalten sollte.

Das zweite Problem besteht in der Frage, wie Israel sich von dem Überfall der Hamas am 6. Oktober letzten Jahres überraschen lassen konnte, obwohl der Geheimdienst offensichtlich entsprechende Warnungen bekommen haben soll. Eine genaue Antwort darauf wird erst eine Untersuchung geben können, die alle einzelne Umstände analysieren und prüfen wird.

Heute aber kann man schon sagen, daß es für diesen unerwarteten Anschlag einen Präzedenzfall gibt: den Yom-Kippur-Krieg zwischen Israel und Ägypten und Syrien, der ebenfalls an einem 6. Oktober begann und zwar 1973. Er endete am 22. Oktober 1973 mit einem Waffenstillstand. Der Krieg hatte Israel 2.600 Opfer und 7.000 Verletzte gekostet, Ägypten verlor 10.000 Soldaten (H. Kissinger, Staatskunst 2022, 354). Die Israelis ließen sich durch mehrere Militär-Manöver, die der ägyptische Präsident Sadat seit Mai 1973 durchführte, täuschen und wurden im Oktober dann von dem ägyptischen Angriff völlig überrascht. Eine Untersuchung gab dem damaligen Stabschef der Zahal, der Armee, die Schuld an diesem Versäumnis, er verlor seinen Posten und auch Moshe Dayan, Verteidigungsminister und Kriegsheld, mußte zurücktreten und seine politische Karriere beenden.

Kissinger urteilt über das Ende des Krieges: „Die Israelis spürten, daß sie die Aura der Unbesiegbarkeit verloren hatten, auch wenn die letzte Schlacht zu ihren Gunsten ausgegangen ist“, und fügt hinzu: „Aber noch quälender war die Erkenntnis, daß Selbstgerechtigkeit zu diesem Ausgang des Krieges geführt hatte.“ (Memoiren 1973-1974. 1982, 659) Er will damit sagen, daß die Israelis nach ihren vorhergehenden Siegen zu selbstsicher waren und ihre arabischen Gegner sträflich unterschätzt haben.

Den gleichen Vorwurf müssen sich die Militärs heute in Israel gefallen lassen: sie waren zu selbstsicher und haben die Hamas gewaltig unterschätzt. Deshalb ihre brutale Reaktion mit dem zerstörerischen Krieg in Gaza mit den steigenden palästinensischen Opferzahlen. Das internationale Ansehen des Landes wird durch diese Strategie ganz gewiß nicht zunehmen. Es kann durchaus sein, daß die Hamas am Ende dieses Krieges nicht nur in den arabischen Augen als militärischer Verlierer, aber als politischer Gewinner dasteht.

Auch zu den hierzulande umstrittenen deutsch-ukrainischen Beziehungen möchte ich nur zwei Bemerkungen machen. Fast alle mir bekannten Prognosen über den Krieg mit Rußland haben sich als falsch erwiesen. 2022 wurde monatelang in der deutschen Öffentlichkeit, besonders lautstark von grünen Stimmen, gefordert, dem Land Leopard 2 – Panzer zu liefern. Als sie dann geliefert wurden, erwies sich ihr Einsatz als Flop, weil sie in die entsprechenden Panzerbrigaden nicht sachgemäß integriert werden konnten.

Ein ständig geäußertes Kriegsziel Kiews ist die Rückeroberung der Krim. Die Bevölkerung der Halbinsel besteht aber zu 70 Prozent aus Russen, und es ist die Frage, ob diese Bewohner überhaupt zurückerobert werden wollen. Die Frage ist natürlich nicht durch den Krieg zu entscheiden, sondern durch ein Abstimmung – eine nicht unerhebliche Komplikation, die in dem Votum der deutschen Öffentlichkeit für die Ukraine überhaupt nicht zur Sprache kommt.

Außerdem gibt es neuerdings Meldungen über einen Konflikt zwischen der politischen und militärischen Führung des Landes, auch dies ein Umstand, der die deutsch-ukrainischen Beziehungen einigermaßen belastet. Man kann nur hoffen, daß die Regierenden in Berlin erkennen, daß es Grenzen für ihr ukrainisches Engagement gibt, die zu überschreiten mehr als eine Dummheit, nämlich ein Fehler wäre.

J.Q. — 1. Feb. 2024

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