Josef Quack

Sinn für die Schriftform:
"das" und "dass" und "daß"




Verschiedene Menschen empfinden es sehr verschieden stark, wenn die Rechtschreibung eines Wortes geändert wird. Und die Empfindung ist nicht nur Pietät für einen alten Gebrauch. — Wem die Orthographie nur eine praktische Frage ist, dem geht ein Gefühl ab, nicht unähnlich dem, welches einem 'Bedeutungsblinden' mangeln würde.

L.Wittgenstein

Die einmal staatlich anerkannte Dummheit kann zu einem Merkmal der Bildung werden.

H.F.Wendt

Wie es sich für einen Schriftsteller gehört, war Ernst Jünger ständig von Sprachzweifeln geplagt. So störte ihn einmal der Gleichklang zwischen der Konjunktion und dem Artikel in dem Satz: „daß das klassische jeu de paume ...“. Er schreibt dazu: „Es wird immer ein Unterschied bleiben zwischen einem Sprechen, das man versteht, und einem solchen, das man genießt. Dabei fällt mir meine Notiz über den Gleichlaut von „daß“ und „das“ ein – ich kann darauf beharren, mit der Einschränkung, daß sowohl rhetorisch wie phonetisch Abhebungen möglich sind.“ (Siebzig verweht IV 1995, 79;83)

Dazu wäre zu bemerken, daß die beiden Wörter nur ähnlich, nicht genau gleich lauten, weil der Artikel ein langes „a“, die Konjunktion ein kurzes „a“ enthält; die Schreibung differiert aber sichtlich und zeigt auf einen Blick an, daß es sich hier um zwei verschiedene Wortarten handelt.

In der neuen Rechtschreibung wird nun verordnet, daß die Konjunktion mit doppeltem „ss“ geschrieben werden müsse, weil das „ß“ nur nach langem Vokal oder Diphthong zulässig sei. In der bewährten Rechtschreibung aber schreibt man die Konjunktion mit „ß“ aus eugraphischen Gründen, aus Gründen der guten Gestalt eines Wortes. Denn die Schrift besteht aus graphischen Zeichen, die immer auch eine ästhetische Qualität haben. Zudem dient die Schreibung der Konjunktion als „daß“ auch der leichteren visuellen Unterscheidung von dem Artikel „das“. Die Wohlgestalt dient der leichteren Wahrnehmung, die ästhetische Qualität hat eine kognitive Funktion. Diese Momente gehen aber bei der Schreibung „dass“ verloren.

Den Orthographie-Reformern mangelt nicht nur in diesem Punkt das ästhetische Distinktionsvermögen. Die Banausie der „neuen“ Rechtschreibung, der im Punkt des „dass“ leider alle Zeitungen und Zeitschriften und viele Verlage untertänigst gefolgt sind, besteht darin, daß der ästhetische Aspekt der Schrift systematisch ignoriert oder grundsätzlich ausgeschlossen wurde. So hat man auch bei der zugelassenen Trennung von „st“ den eugraphischen Gesichtspunkt absichtlich ausgeschaltet. Offensichtlich haben diese Reformer ein unterentwickeltes Formbewußtsein, einen arg verkümmerten Gestaltsinn.

Während der Rechtschreibe-Duden (2009) in devotester Haltung und nicht mehr zu überbietender Staatstreue, als wäre er immer noch das amtliche Organ der vorgeschriebenen Rechtschreibung, nur die neue Schreibung „dass“ notiert, erwähnt der Wahrig (2005) immerhin noch die alte Form, die Schreibung der bewährten Orthographie „daß“. Theodor Ickler aber gab Das Rechtschreib-Wörterbuch. Die bewährte deutsche Rechtschreibung in neuer Darstellung (2000) heraus, ein vorzügliches Kompendium mit klaren, einfachen, sinnvollen Regeln.

Obwohl Ickler Mitglied der Darmstädter Sprachakademie ist, hat diese Akademie sein mustergültiges Werk mit keinem Wort unterstützt, wie denn dieser staatlich finanzierte und beeinflußte Verein meist pensionierter Honoratioren in der Debatte über die Rechtschreibe-Reform nicht die geringste Rolle gespielt hat. Die Akademie hat den Augenblick, wo sie aufgrund ihrer raison d‘être, ihres Auftrags und ihres Programms, hätte wirken und intervenieren müssen, schlicht versäumt. Eine Sprachakademie hätte die verkorkste Rechtschreib-Reform verhindern können müssen. Da sie es nicht einmal versucht hat, hat sie ihre Existenzberechtigung verscherzt und sich selbst überflüssig gemacht.

Übrigens dürfte in der Kulturgeschichte der Fall einmalig sein, daß der Name einer Sprachakademie einen sprachlichen Fehler enthält. Ernst Robert Curtius, der große Philologe, sich auf Schopenhauer berufend, hat schon früh darauf aufmerksam gemacht, daß in „Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung“ das „für“ fehl am Platze ist – es müßte „Akademie der Sprache und Dichtung“ heißen (Büchertagebuch 1960, 5). Doch bleibt sie ihrem Image insofern treu, als sie auch Autoren mit Preisen auszeichnet, die alles andere als ein reines Deutsch schreiben.

Schopenhauer belegt mit Dutzenden von Beispielen den falschen Gebrauch des "für" im Deutschen, er führt ihn auf den Einfluß des Französischen zurück, wo "pour" "armutshalber den Dienst von vier oder fünf deutschen Präpositionen versehn muß". Als Faustregel, wie "für" richtig zu verwenden ist, erklärt er: "'Für' heißt pro und darf nur da, wo dieses im Lateinischen stehn kann, gebraucht werden" — womit er allerdings Kenntnisse voraussetzt, die heute nicht mehr gegeben sind. (Über Schriftstellerei und Stil § 283)

Mit der neuen Schreibung jener Konjunktion aber ist eine Nuance in der Sprachgestaltung eliminiert worden, der Sinn für künstlerische Feinheiten in der Schriftform ging verloren, das Sprachbewußtsein ist in diesem unseren Lande weithin verarmt und versimpelt.

J.Q.  6. Juli 2020

© J.Quack


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