Josef Quack

Thomas von Aquin über den Islam





Vorbemerkung


Das Studium der Philosophie hat nicht den Sinn, zu erfahren, was andere gedacht haben, sondern zu erfahren, wie die Wahrheit der Dinge sich verhält.

Thomas v. Aquin

Es gibt ein oft gehörtes Klischee, das besagt, im Mittelalter sei es leichter gewesen, im christlichen Sinne zu glauben, als heute, in der Moderne, der Zeit nach der Aufklärung. An diesem Klischee ist nichts Wahres dran. Es beweist nur, daß die Verwender des Klischees vom Mittelalter, seinem Denken und seinen geistigen Auseinandersetzungen nicht die geringste Ahnung haben und überdies nicht wissen, was es heißt, im christlichen Sinne zu glauben.
Deshalb ist es nicht ganz überflüssig, an einen Artikel des Thomas von Aquin (1225-1274) zu erinnern, in dem er ausführt, daß es nichts Leichtes sei, der christlichen Lehre zuzustimmen, insofern sie Wahrheiten enthält, die den menschlichen Verstand übersteigen. Was den Islam angeht, so spricht es seines Erachtens nicht für ihn, daß es sozusagen bequem ist, seine Lehre zu übernehmen.
Um den ganzen Umfang dessen zu verstehen, was er damit meint, muß man zwei weitere Aussagen heranziehen. Sie führen ins Zentrum seines Denkens und zum Kern der christlichen Lehre. Thomas ist der begründeten Meinung, daß die Wahrheit der christlichen Lehre nicht der Wahrheit der natürlichen Vernunft widersprechen kann, obwohl der Glaube den menschlichen Verstand übersteigt oder transzendiert. Sein Hauptargument besagt, daß die Prinzipien der natürlichen Vernunft letztlich der Lehre der Offenbarung nicht widersprechen können, weil die natürliche Vernunft zur Schöpfung gehört und Schöpfung und Offenbarung denselben Urheber (auctor) haben. Oder mit den Worten Chestertons: "Weil der Glaube die eine Wahrheit ist, darum kann nichts, was in der Natur entdeckt wird, dem Glauben letztlich widersprechen. Weil der Glaube die eine Wahrheit ist, darum kann letzten Endes nichs, was man wirklich von ihm ableitet, den Gegebenheiten der Natur widersprechen." (cf. J.Q. Zur christlichen Literatur im 20. Jahrhundert, S.115f.)
Offensichtlich setzt diese These die Existenz Gottes voraus und dieses Thema, seine Bedeutung und seine Begründung, bildet in der Tat den innersten Kern des Denkens von Thomas, wie das folgende Zitat aus der Einleitung der Summa contra Gentiles (der Summe wider die Heiden), schlüssig belegt:

Inter ea vero, quae de Deo secundum seipsum consideranda sunt, praemittenda est, quasi totius operis fundamentum, consideratio qua demonstratur Deum esse. Quo non habito, supposita omnis consideratio de rebus divinis necessario tollitur. (ScG I, 9)
(Unter den Dingen, die über Gott im Hinblick auf ihn selbst zu betrachten sind, muß, gleichsam als das Fundament des ganzen Werkes, die Überlegung vorausgeschickt werden, durch die bewiesen wird, daß Gott existiert. Wenn dies nicht geschieht, wird die ganze Überlegung, die über die göttlichen Dinge vorgenommen wird, notwendigerweise aufgehoben.)

Diese Worte zeigen überdeutlich, daß für die Gelehrten des angeblich so glaubensicheren Mittelalters die Existenz Gottes ein ernstes Problem war, was nichts anderes heißt, als daß sie die Einwände gegen diese Annahme nicht leicht beiseite schieben konnten, sondern sie mit überzeugenden Argumenten entkräften mußten. Man sieht, daß sich in dieser Hinsicht das Mittelalter nicht im geringsten von unseren aufgeklärten Zeiten unterscheidet. Diesen Gedanken des Thomas hat übrigens Alfred Döblin in seiner Schrift Der unsterbliche Mensch aus heutiger Sicht ausführlich besprochen (cf. J.Q. Zur christlichen Literatur im 20. Jahrhundert, S.123ff.).
Im folgenden Passus aus der Summa contra Gentiles wendet Thomas gegen den Islam ein, daß er ursprünglich eine Religion unzivilisierter, in religiösen Dingen unerfahrener Wüstenbewohner gewesen sei. Der Einwand impliziert in den Augen des Thomas einen unausgesprochenen Vorzug des Christentums. Er hält ihm zugute, daß es in der Auseinandersetzung mit einer hochstehenden religiösen Kultur, dem Judentum, entstanden ist, und daß die Zentren des Urchristentums städtische Gesellschaften waren, Jerusalem, Ephesus, Korinth, Rom — diesen Aspekt des Christentums hat zuletzt wieder Franz Kamphaus hervorgehoben (cf. J.Q. Reden von F. Kamphaus).
Andererseits läßt sich aus dem Einwand aber keineswegs folgern, daß Thomas nicht gewußt habe, daß es später eine hochentwickelte islamisch geprägte Zivilisation gab. Im Gegenteil, er hat von deren Bildung und Wissenschaft vielfachen Gebrauch gemacht. Bezeichnend ist jedoch seine Haltung gegenüber Averoes (Ibn Ruschd) und Avicenna (Ibn Sina), mit deren Theorien er sich gründlich auseinandersetzen mußte. Er hat sie als Vertreter des Aristotelismus betrachtet, aber offenbar niemals als spezifisch islamische Philosophen. Averroes vertritt die These, daß die Philosophie gänzlich säkular und gegenüber dem Glauben völlig autonom sei, was sich in der Tat mit dem Islam nicht vereinbaren läßt. Diese These hat sich denn auch nicht im islamischen Kulturkreis, sondern in der europäischen Kultur durchgesetzt.
Schließlich liegt es auf der Hand, daß jene Einwände gegen den Islam der politisch korrekten Einstellung unserer Zeit widersprechen, die es aus falsch verstandener religiöser Toleranz verbieten will, den Islam überhaupt zu kritisieren. In diesem Punkt aber war, wie zur Genüge demonstriert, das Mittelalter vernünftiger als die Ideologen der politischen Korrektheit heutzutage — sie haben vergessen, daß Religionskritik das erste Postulat der Aufklärung ist.
Eine letzte Bemerkung: Die spirituelle Mode unserer Tage, das Christentum light als Wohlfühlreligion und Spielart der Vulgärpsychologie, hat natürlich nichts mit dem Glauben zu tun, den Thomas mit allen Kräften der natürlichen Intelligenz zu erklären und zu verteidigen suchte.

Über den Islam


Hi vero, qui sectas errorum introduxerunt, processerunt via contraria, ut patet in Mahumete, qui, carnalium voluptatum promissis, ad quorum desiderium carnalis concupiscentia instigat, populos illexit. Praecepta etiam tradidit promissis conformia, voluptati carnali habenas relaxans, quibus in promptu est a carnalibus hominibus obediri. Documenta etiam veritatis non attulit, nisi quae de facili a quolibet mediocriter sapiente, naturali ingenio, cognosci possint; quin potius vera quae docuit multis fabulis et falsissimis doctrinis immiscuit. Signa etiam non adhibuit supernaturaliter facta, quibus solum divinae inspirationi conveniens testimonium adhibetur, dum operatio visibilis, quae non potest esse nisi divina, ostendit doctorem veritatis invisibiliter inspiratum; sed dixit se in armorum potentia missum; quae signa etiam latronibus et tyrannis non desunt. Ei etiam non aliqui sapientes in rebus divinis, et de divinis et humanis exercitati, a principio crediderunt, sed homines bestiales in desertis morantes, omnis doctrinae divinae prorsus ignari, per quorum multitudinem alios, armorum violentia, in suam legem coegit. Nulla etiam divina oracula praecedentium Prophetarum ei tostimonium perhibent; quin potius quasi omnia Veteris ei Novi Testamenti documenta fabulosa narratione depravat, ut patet ejus legem inspicienti. Unde astuto consilio libros Veteris et Novi Testamenti suis sequacibus non reliquit legendos, ne per eos falsitatis argueretur. Et sic patet, quod ejus dictis fidem adhibentes leviter credunt.
(Summa contra gentiles, liber I, caput 6)

Diejenigen aber, die die Schulen der Irrtümer eingeführt haben, schlugen den entgegengesetzten Weg ein, wie bei Mohammed offenbar ist, der mit Versprechungen fleischlicher Lüste, die zu erlangen die fleischliche Begierde anreizt, die Völkerschaften verführt hat. Auch hat er Gebote überliefert, die den Versprechungen entsprachen, der fleischlichen Lust die Zügel lassend, denen von den fleischlichen Menschen augenscheinlich gehorcht wird. Er hat auch keine Beweise für die Wahrheit beigebracht, außer solchen, die von einem beliebigen mittelmäßig gescheiten Menschen mit natürlicher Intelligenz leicht erkannt werden können; ja sogar die Wahrheiten, die er lehrte, hat er mit vielen Märchen und den falschesten Lehren vermischt. Auch hat er keine übernatürlich bewirkten Zeichen angewandt, durch die allein ein Zeugnis beigebracht wird, das der göttlichen Eingebung angemessen ist, weil ja die sichtbare Handlung, die nur göttlich sein kann, den Lehrer der Wahrheit erweist, der unsichtbar begeistert ist. Er sagte vielmehr, er sei mit der Macht der Waffen gesandt worden — welche Zeichen auch den Dieben und Tyrannen nicht fehlen. Auch haben ihm nicht Menschen, die in göttlichen Dingen weise und in göttlichen und menschlichen Dingen geübt waren, am Anfang geglaubt, sondern wilde, in Wüsten lebende Menschen, die jeder göttlichen Lehre ganz unkundig waren, und mit Hilfe dieser Menge hat er andere, mit der Gewalt der Waffen, unter sein Gesetz gezwungen. Auch gaben keine göttlichen Weissagungen vorausgehender Propheten für ihn Zeugnis; ja er hat vielmehr gleichsam alle Urkunden des Alten und Neuen Testamentes durch eine fabelhafte Erzählweise entstellt, wie dem offenkundig ist, der sein Gesetz nachliest. Deshalb überließ er mit arglistiger Überlegung die Bücher des Alten und Neuen Testamentes seinen Anhängern nicht zum Lesen, damit er durch sie nicht der Falschheit überführt werde. Und so ist offenkundig, daß diejenigen, die seinen Worten Glauben schenken, leichthin glauben.


J.Q. — 10. April 2015

©J.Quack


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