Josef Quack
Über Simenons traurige Geschichten
Bemerkungen
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Verlag: tredition GmbH, Hamburg 2019. 192 S.
ISBN 978-3-7497-1433-9 (Paperback) 16,90 Euro
ISBN 978-3-7497-1434-6 (Hardcover) 24,90 Euro
ISBN 978-3-7497-1435-3 (e-Book) 6,90 Euro


Inhalt

I. Verfehltes Leben
„Die schielende Marie”
„Maigret und die junge Tote”
Zum Film
„Schlußlichter”
„Ein Neuer in der Stadt”
„Der kleine Mann aus Archangelsk”
„Die Alte”
„Der Mann mit dem kleinen Hund”
„November”

II. Finstere Zeiten
„Der Schnee war schmutzig”

III. Moralische Geschichten
„Die Zeugen”
„Maigret vor den Geschworenen”
„Die Komplizen”
„Unbestraftes Verbrechen”
„Die Anderen”

IV. Mißgeschick:
„Der Sohn”

V. Warum ein Mensch zum Mörder wird
„Der Mann aus London”
„Die Wahrheit über Bébé Donge”
„Der Plüschbär”

VI. Geschichten der Flucht
„Der ältere Bruder der Ferchaux”
„Der Mann, der den Zügen nachsah”
„Die Flucht von M. Monde”
„Nachtzug nach Lissabon” (P. Mercier)

VII. Politiker literarisch betrachtet
„Der Präsident”
„Maigret beim Minister”
„Das Treibhaus” (W. Koeppen)
„Bericht über Bruno” (J. Breitbach)
Schlußbemerkung

VIII. Randfiguren der Gesellschaft
„Am Ende der Kunst”
„Der blinde Passagier”
„Striptease”
„Ausgestoßen”
„Antoine und Julie”
„Maigret und der Clochard”

IX. Jenseits des Engagements:
„Die Glocken von Bicêtre”

X. »Eine Art Hymne an das Leben«
„Der kleine Heilige”

Warum uns Simenons traurige Geschichten gefallen

Literatur




 
Zum Geleit

Wenn man den natürlichen Stil sieht, ist man ganz erstaunt und erfreut; denn man erwartete, einen Autor zu sehen, und man findet einen Menschen.

B. Pascal

Das Verhalten passionierter Simenon-Leser, das André Gide wohl als erster beschrieben hat, ist bekannt: Wenn sie mit der Lektüre eines Romans beginnen, erfaßt sie ein Lesefieber, das erst dann abklingt, wenn sie ein halbes Dutzend seiner Romane verschlungen haben. Es scheint, als teile die konzentrierte Leidenschaft, mit der die Werke geschrieben wurden, sich dem Leser unmittelbar mit.
Damit habe ich auch angedeutet, wie diese Besprechungen zustande gekommen sind. Je nach Lust und Laune habe ich nach einem Roman gegriffen und dann ein paar weitere Bücher ausgewählt, von denen ich annahm, daß sie von ähnlichen Themen und Schicksalen handeln. Ich hatte nicht die geringste Absicht, die Non-Maigret-Romane Simenons in ähnlicher Weise, d.h. halbwegs systematisch, zu untersuchen, wie ich die Maigrets beschrieben habe. Es gibt längst Handbücher, die das Universum Simenons ausführlich präsentieren. Ich wollte nur von meinen Lektüre-Eindrücken berichten und den Gedanken, die ich mir darüber machte, unbekümmert um die Sekundärliteratur, nur gestützt auf meine Kenntnis seines Œuvres, seiner Memoiren und des verwunschenen Tagebuchs von 1960-63, von dem er die Passagen über seine Frau später widerrufen hat. Als nützlich erwies sich auch die Biographie von Pierre Assouline, eine sachlich-kritische Beschreibung seines Lebens. Zu den Rezensionen über Simenon sei nur noch angemerkt, daß das schulterklopfende Lob, mit dem manche Journalisten Simenon bedenken, nur ihre eigene Banausie verrät.
Was die Auswahl der Romane angeht, so konnte ich die vielgerühmten Meisterwerke, herausragende Beispiele des modernen Romans, natürlich nicht übergehen: Der Schnee war schmutzig, Der Präsident, Der Sohn, Die Glocken von Bicêtre, Der kleine Heilige. Ich habe diese originellen Erzählwerke also mit einer Bewunderung gelesen, die an Ehrfurcht grenzt, und meine Meinung darüber gesagt. Ich habe aber auch andere Romane entdeckt, die es meines Erachtens verdienen, in diese erlesene Reihe aufgenommen zu werden: Der kleine Mann aus Archangelsk, Der Mann mit dem kleinen Hund, Die Komplizen, Der Mann, der den Zügen nachsah, Die Flucht von M. Monde. Und dann habe ich noch einige Romane gefunden, die man, eine Wendung Arno Schmidts gebrauchend, unverächtliche Meisterwerke zweiten Ranges nennen könnte.
Nicht auslassen wollte ich den umstrittensten seiner Romane: Der Plüschbär. Hier fragt es sich, ob der große Menschenkenner sich in der Deutung eines Verbrechens geirrt hat, oder ob seine Erzählkunst an eine Grenze gekommen ist, so daß er einmal nicht darstellen konnte, was er darstellen wollte – und dies, obwohl das Werk in formaler Hinsicht nahezu vollkommen ist.
In der Verlagswerbung und in der Literaturkritik hat man seine Romane meist als psychologische Romane oder Schicksalsromane bezeichnet, was gewiß zutreffend ist, einen wesentlichen Aspekt aber nicht berücksichtigt. Es sind nämlich oft moralische Geschichten, die erzählen, wie Menschen schuldig werden und wie sie mit ihrer Schuld fertig zu werden versuchen. Diesen wenig gewürdigten Aspekt der Romane wollte ich betonen, so wie ich seinerzeit die Last der Verantwortung analysiert habe, die Maigret bedrückt.
Der abschließende Essay ist kein Resümee der Besprechungen, keine Zusammenfassung der Themen, Motive und Erzählweisen, nichts dergleichen, sondern eine Reflexion über die Frage, warum uns Simenons Romane gefallen, obwohl sie meist traurige Geschichten erzählen – in meinen Augen ein Paradox, das dringend nach einer Erklärung verlangt.
Schließlich noch ein Wort zu den Werkausgaben, die ich verwendet habe. Da Simenons Prosa im wesentlichsten rhythmisch geprägt ist und die deutsche Sprache einen immanenten Rhythmus hat, der sich von dem Rhythmus des Französischen fundamental unterscheidet, habe ich meistens Originalausgaben benutzt und die Zitate so genau wie möglich übersetzt. Die Übersetzungen, die ich geprüft habe, erwiesen sich alle als ungenau und weit unter dem Niveau des Originals. So wurde mit dem deutschen Titel die Lösung des Rätsels eines Romans mitgeteilt und dem Leser die Spannung genommen – ein einmaliger Fall in der Kriminal-Literatur, der zeigt, wie lässig man Simenons Werk behandelt.
Ich habe nicht nur Bücher von Simenon besprochen, sondern auch das Treibhaus von Wolfgang Koeppen und den Bericht über Bruno von Joseph Breitbach herangezogen, um das politische Thema durch analoge Geschichten zu illustrieren. Auch habe ich den Nachtzug nach Lissabon von Pascal Mercier skizziert, um wenigstens ein unverächtliches Buch aus der Wirkungsgeschichte Simenons vorzustellen.
Zuletzt sei das Urteil François Mauriacs zitiert, das höchste und treffendste Lob, das je über Simenon ausgesprochen wurde: "Simenon erreicht in seinem Werk eine Aufrichtigkeit, wie sie noch keinem Schriftsteller vor ihm in diesem grellen, beinahe unerträglichen Licht gelungen ist."



 
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